From now on it was important that I was kept in good condition and good health in every way. That was the whole point, after all.
Anstalt für sozialverträgliches Frühableben
Weil die Schriftstellerin Dorrit Weger weder verheiratet ist noch Kinder hat und auch keinem wertschöpfenden Beruf nachgeht, wird sie von der Gesellschaft als „entbehrlich“ betrachtet. Als sie fünfzig Jahre alt ist, kommt sie deshalb in eine „Reserve Bank Unit for biological material“. Dort soll sie wie alle Frauen über fünfzig und Männer über sechzig den kurzen Rest ihres Lebens damit verbringen, an Experimenten und medizinischen Studien teilzunehmen und nach und nach ihre Organe zu spenden. Bis dahin genießen die Entbehrlichen in der Unit gutes Essen, kostenlose Theaterbesuche und einen großzügigen Spa-Bereich. Auch Dorrit lebt sich schnell ein und verliebt sich in Johannes. Doch dessen „finale Spende“ steht kurz bevor.
You have food on the table, a roof over your head, free access to medical care, dental care, physical therapy and so on, and it won’t cost you a thing. You may move around freely within the unit and make use of all its facilities. There is a large winter garden here, almost a park in fact, for recreation and the enjoyment of nature. There is a library, a cinema, a theater, an art gallery, a café and a restaurant.
Eine Dystopie ohne Held, der sich auflehnt
Der Roman „The Unit“ der schwedischen Autorin Ninni Holmqvist macht es einem nicht gerade leicht mit der Kritik. Einerseits ist die Prämisse so beklemmend und gleichzeitig so realistisch, dass mir beim Lesen das eine oder andere Mal ein kalter Schauer über den Rücken lief. Andererseits verweigert Holmqvist konsequent eine Meinung zu ihren Thesen, indem sie die Idee quasi unkommentiert stehen lässt. Ja, formal betrachtet ist das eine Dystopie, doch ist sie leider völlig ereignislos und frei von jedem Widerstand oder Revolutionsgedanken.
Zunächst einmal, es spricht grundsätzlich nichts dagegen, die Geschichte ganz auf das Innere der Unit zu konzentrieren. Die Geschehnisse dort bieten genug Stoff, auch wenn dadurch natürlich die Außensicht komplett unter den Tisch fällt. Wie steht die Gesellschaft insgesamt zu diesem Verfahren? Hat sich die Sicht darauf im Laufe der Zeit verändert? Das wird gegen Ende nur einmal kurz angedeutet, als es heißt, dass ihnen langsam die Entbehrlichen ausgehen und jetzt bereits Jugendliche versuchen, so schnell wie möglich schwanger zu werden. Der soziale Druck, der dadurch entsteht, ist natürlich immens, und darüber hätte ich gerne mehr gelesen.
Zudem ist es für mich unglaubwürdig, dass sich unter diesen Bedingungen nicht innerhalb kürzester Zeit eine Art Schwarzmarkt-Partnerbörse entwickelt hat. Warum tun sich fünfzigjährige Frauen und sechzigjährige Männer nicht einfach zusammen und gehen eine Zweckehe ein? Hier bleibt der Roman enervierend vage, denn zumindest für mich war nicht ganz klar, ob bereits ein Ehepartner ausreicht, um als unentbehrlich zu gelten (weil man für den „sorgen“ muss), oder ob es wirklich explizit um kinderlose Menschen geht, verheiratet oder nicht. In der Unit begegnen wir jedenfalls ausschließlich Künstlern und Freigeistern, die nie eine dauerhafte Bindung eingegangen sind.
Das immerhin ist ein interessanter Aspekt. Stellt euch eine Gesellschaft vor, in der der Mensch der Regierung wortwörtlich „gehört“. Ein Besitztum noch dazu, dessen Wert sich allein daran bemisst, was es zum Bruttosozialprodukt beiträgt. Ein solches System bedeutet nicht nur den Verlust der Freiheit, es ist auch das Ende jeder Kultur. Schriftsteller, Künstler, Musiker, sie alle sind in dieser Gesellschaft wertlos. Kunst entsteht so nur noch innerhalb der Mauern der Unit und wird zwar archiviert (das wird immer wieder betont), hat aber keinen Einfluss mehr auf die Allgemeinheit, die weiß Gott andere Sorgen hat.
Mein größter Kritikpunkt allerdings ist die Protagonistin des Romans. Ich weigere mich, Dorrit als Heldin zu bezeichnen, denn sie ist passiv bis zur Selbstaufgabe. Sie macht sich mehr Sorgen um ihren zurückgelassenen Hund als um ihre verlorene Freiheit, und auf irgendein Wort der Kritik wartet man als Leser vergebens. Mehr noch, als wegen der Schlamperei eines Pharmaunternehmens die Hälfte der Probanden eines Experiments stirbt, nimmt Dorrit achselzuckend zur Kenntnis, dass sie offenbar in der Placebo-Gruppe war, und verteidigt sogar noch die „Anstrengungen“ der Wissenschaftler. Eine Dystopie ohne jemanden, der sich dagegen auflehnt, ist eine Zustandsbeschreibung, mehr nicht.
Ich persönlich halte „The Unit“ vor allem für eine vertane Chance. Liest man andere Kritiken, sind viele Leser voll des Lobes, also liegt das vielleicht auch an mir und meinen Erwartungen. Das Potenzial ist definitiv vorhanden, und das Buch liest sich auch angenehm flüssig. Rückblickend frage ich mich allerdings, ob es nicht eher die Hoffnung auf einen Wendepunkt war, die mich so schnell hat weiterlesen lassen. (Und nein, das Ende entschädigt leider für gar nichts.) Hier müsst ihr euch wohl einfach eure eigene Meinung bilden.
Ich habe „The Unit“ übrigens in der englischen Übersetzung gelesen. Das Buch ist auch in einer deutschen Auflage unter dem Titel „Die Entbehrlichen“ erschienen, die jedoch nur noch antiquarisch erhältlich ist.
2 ½ von 5 Bananen mit nur noch einer Niere.
4