„They never let anyone get away. Fuckers.“
June wird Opfer eines Anschlags und will Kanada schnellstmöglich verlassen. Janine legt sich mit Mrs. Putnam an. Spoiler!
Luke, come find me
Nach dem Anschlag auf die Trauerfeier suchen die ersten Flüchtlinge aus Junes Nachbarschaft das Weite. Sie selbst wird gezielt von einem Truck überfahren, nur Lukes Eingreifen kann Schlimmeres verhindern. Als der Fahrer stirbt und Luke einer Anklage wegen Totschlag ins Auge blickt, besteht June darauf, dass sie Kanada verlassen, so lange sie es noch können. Tuello erzählt ihnen von einem Zug, der amerikanische Flüchtlinge nach Westen bringen soll, doch am Bahnhof sucht man bereits nach Luke. Nick, der von dem Angriff auf June hört, nimmt Tuellos Angebot nun doch an und will für die amerikanische Regierung arbeiten. Janine soll einen neuen Posten erhalten – beim frischvermählten Kommandanten Lawrence.
Ruhig und intensiv
So viel auch zu meinem erwarteten Knall. Tatsächlich ist „Safe“ ein ungewöhnlich ruhiges und fast schon intimes Finale, das dadurch nur noch intensiver nachwirkt. Wir sind so sehr daran gewöhnt, dass alle Geschichten am Ende gut ausgehen, dass die Vorstellung, Gilead könne schließlich triumphieren, geradezu obszön ist. Und doch scheint es gerade darauf hinauszulaufen, weil die Menschen einfach nicht dazulernen und dieselben Fehler immer und immer wieder machen. Sicherlich eine der stärksten Folgen der Serie, über die ich noch lange nach dem Abspann nachgedacht habe.
June: „We waited last time. We waited too long, and we didn’t see how much they hated us. I lost you, and then we lost Hannah.“
Luke: „Are we just gonna forget about her now?“
June: „We will never ever forget about her, but we cannot help her if we are dead. It’s changing, Luke. This country is changing.“
Luke: „No, Canada’s not Gilead.“
June: „America wasn’t Gilead until it was, and then it was too fuckin’ late. Luke, we have to go. We have to run. Now.“
Gilead breitet sich aus wie ein Virus
Es ist lange her, seit „The Handmaid’s Tale“ uns die schleichenden Veränderungen gezeigt hat, aus denen schließlich Gilead hervorging („Late“). Und getreu dem Sprichwort, dass sich Geschichte zwar nicht wiederholt, aber reimt, sind die Vorzeichen diesmal auch andere. Die Stimmung aber ist dieselbe, und deshalb sind es Leute wie June, die all das schon einmal erlebt haben, die jetzt das Weite suchen. Die Kanadier mögen sich noch eine Weile dafür auf die Schulter klopfen, dass sie die Flüchtlinge verjagt haben, aber es ist offensichtlich, dass Gilead auch dort seinen Fuß längst in der Tür hat.
Was ist es nur, das die Menschen so empfänglich für totalitäre Ideen macht? Ist es allein das Heilsversprechen? Dass, wenn man nur brav gehorcht, alles besser wird? Oder das Bedürfnis nach Überlegenheit, nach jemand Schwächerem, den man mit hochherrschaftlicher Genehmigung treten darf? Das ist etwas, was man schon recht früh beobachten konnte: Selbst die, die unterjocht werden, halten still, weil sie sich in einer vergleichsweise guten Position wähnen, und treten sogar noch selbst nach unten. Doch was verspricht sich jemand davon, sich einen Gilead-Sticker aufs Auto zu kleben und eine Frau umzufahren, die ihm persönlich nichts getan hat?
Eine der eindrücklichsten Sequenzen der Folge ist das Chaos der Menschenmassen, die sich auf dem Bahnhof in Richtung Zug drängen. Und es sind zugleich die bedrückendsten mit all den schwer gepanzerten und bewaffneten Polizisten, die das Geschehen begleiten. Es wirkt tatsächlich wie der Vorabend einer Katastrophe, nur dass June mit ihrer Tochter diesmal entkommt, während Luke zurückbleibt. Dass er zum Verbrecher gestempelt wird, weil er es gewagt hat, seine Ehefrau zu verteidigen, spricht bereits eine gefährlich autoritäre Sprache.
Lawrence lässt die Maske fallen
Nach dem hitzigen Telefonat mit June letzte Woche scheint Kommandant Lawrence indes entschlossen, keine Schwäche mehr zu zeigen. Mag sein, dass er nicht den Befehl gegeben hat, sich um June zu „kümmern“, aber er hat definitiv auch nichts getan, um es zu verhindern. Wahrscheinlich sind Nicks Handlungen vor allem davon geprägt, dass er June nach wie vor liebt, aber dadurch verliert er auch den Glauben an Lawrence und sein ständiges „es wird besser werden“.
Das Problem ist, dass Nick kein Pokerface hat und nicht einfach mitspielen kann, um den Schein zu wahren. Ich fand es schon riskant genug, dass er sich offen mit Tuello trifft, ohne offenbar auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass er vielleicht überwacht wird. Dann aber geradewegs auf Lawrence zu zu marschieren und ihm ins Gesicht zu schlagen, war einfach nur dumm. Und führt dazu, dass auch Rose die Geduld verliert und sich von ihm trennt. Was aber nutzt Amerika ein Informant, der im Gefängnis sitzt?
Mrs. Putnam: „I feel so hopeful, don’t you? And honestly, it will just be nice to have a friendly face in the house, Ofjoseph.“
Janine: „That’s not my name.“
Mrs. Putnam: „Pardon?“
Janine: „We’re not friends. Do you really think that we’re friends? I think that you’re one of the worst people I have ever known. I am not your friend. I hate you, Naomi. How could you not know that?“
Janine lehnt sich endlich auf
Bleibt zum Schluss nach Janine, die in dieser Staffel leider viel zu kurz kam. Tante Lydias Beweggründe sind wie üblich schwer zu durchschauen, doch Fakt ist, dass sie Janine zu schützen versucht hat. Wie sie allerdings auf die Idee kommt, dass Janine, wenn sie schon in einen Haushalt muss, am besten damit gedient ist, wenn sie erneut zu Mrs. Putnam (nun Mrs. Lawrence) kommt, entzieht sich meinem Verständnis. Agnes hin oder her, ich glaube nicht, dass es gängige Praxis ist, mehrfach bei ein und derselben Person stationiert zu werden.
Seltsamerweise versteht auch Mrs. Putnam diese Geste falsch und glaubt in Janine plötzlich eine Verbündete zu haben. Wie kann man nur so verblendet sein? Als Janine ihr offen ins Gesicht sagt, was sie von ihr hält, ist das jedenfalls ein großartiger Charaktermoment. Ich glaube, am Ende ist Janine an dem gewachsen, was Esther passiert ist. Sie hat endlich verstanden, dass eben nicht automatisch alles gut wird, wenn sie nur den Kopf einzieht. Wie wird es mit ihr weitergehen? Kommt sie in die Kolonien?
Schwache erste Staffelhälfte, zum Ende hin dafür extrem stark
Wahrscheinlich muss man einige der aktuellen Entwicklungen bei „The Handmaid’s Tale“ auch als Vorbereitung des Spin-offs verstehen. Diese neue Serie soll auf der Buchfortsetzung „Die Zeuginnen“ von Margaret Atwood basieren, wodurch einige Dinge bereits mehr oder weniger feststehen dürften – darunter auch, dass Gilead noch viele Jahre weiter existiert und Hannah nicht gerettet wird. Es bleiben genug Leerstellen, die die sechste Staffel von „The Handmaid’s Tale“ füllen kann, aber dass gerade die Rahmenbedingungen nicht mehr groß verändert werden können, finde ich persönlich etwas ungünstig.
Alles in allem kann man die fünfte Staffel (ähnlich wie schon die vorherige) in zwei Hälften teilen. Die erste war ereignislos bis nichtssagend, die zweite dafür umso stärker. Immer dann, wenn man als Zuschauer denkt, es kann einen eigentlich nichts mehr überraschen, legt „The Handmaid’s Tale“ gezielt den Finger in eine Wunde, von der man nicht wusste, dass sie da ist. Die gesellschaftlichen Reibungen, die gezeigt wurden, haben zumindest bei mir erschreckend oft ein Echo gefunden.
Wie gesagt, es ist schwer einzuschätzen, was die finale Staffel noch abarbeiten kann, ohne dem Spin-off zu viel vorwegzunehmen. Die Beziehung zwischen June und Serena bleibt jedenfalls spannend. Wohin wird es sie verschlagen? June sagt zu Nichole etwas von Hawaii, doch das ist ein weiter Weg, wenn man auf der Flucht ist. Wird Luke irgendwann zu ihr stoßen oder auf Lebenszeit im Gefängnis enden? Und werden wir noch jemals auf die anderen Gesellschaftsschichten Gileads zurückkommen? Was ist zum Beispiel mit den Ökonos passiert?
Blessed be the fruit
• Die Folge spielt viel mit Fenstern als Symbol zerbrechlicher Sicherheit. Eine interessante Bilderwahl.
• Ohne die Tötungsabsicht des Fahrers kleinreden zu wollen … wir sind uns schon einig, dass June mitten auf der Straße lief, ja? Und sich sogar mehrfach umdreht, aber trotzdem nicht auf den Bürgersteig wechselt.
• Janines „code brown“ für die anrückende Tante Lydia fand ich herrlich.
5 von 5 Bananen, die nach Westen fahren.
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