Ein beliebtes Netflix-Meme geht ungefähr so: Ich sitze abends vor dem Fernseher und überlege, ob ich endlich mal eine dieser neuen, total gehypten Serien anfangen soll – nur um dann doch zum zehnten Mal die dritte Staffel von „Friends“ zu gucken. Doch ist es einfach nur fehlende Abenteuerlust, die uns Serien immer und immer wieder schauen lässt? Und wie ändert sich dadurch die Sicht darauf?
Mit den Protagonisten erwachsen werden
Die Serie, die ich mutmaßlich am häufigsten gesehen habe, ist „Buffy – Im Bann der Dämonen“. Obwohl ich damals erst während der vierten Staffel und damit recht spät einstieg, entwickelte sie sich schnell zur Lieblingsserie. Es ging mir dabei nie so sehr um die Vampire, Dämonen und Monster, die im Grunde nur Metapher für die Probleme des Erwachsenwerdens waren. Vielmehr interessierten mich die Figuren und ihre Beziehungen zueinander.
Das macht „Buffy“ tatsächlich zu einem sehr interessanten Beispiel für das wiederholte Schauen von Serien. Über die Jahre habe ich den Großteil davon vier- oder fünfmal gesehen und immer wieder neue Facetten entdeckt. Auch wenn mich einige Plots mittlerweile nerven, habe ich immer noch das Gefühl, dass die Figuren zusammen mit mir wachsen und sich entwickeln. Auch deshalb ändert sich meine Antwort auf die Frage nach der Lieblingsfigur bei jedem erneuten Schauen.
Die Perspektive ändert sich
Dass die Identifikationsfigur über die Zeit wechselt, hatte ich aber nicht nur bei „Buffy“, sondern sogar viel extremer bei den „Gilmore Girls“. Als ich die Serie das erste Mal sah, studierte ich gerade und fand mich sofort in der strebsamen Rory wieder. Ihre Zweifel, ob sie das Richtige studiert, hatte ich selbst schon durchlebt. Und so schmerzhaft es auch war, dass mir die Serie gewissermaßen den Spiegel vorhielt: Genau das war der Grund, warum sie für mich so wichtig war.
Anders als „Buffy“ verlor ich „Gilmore Girls“ nach dem Ende der Serie aus den Augen. Erst über das vergangene halbe Jahr habe ich noch einmal alle sieben Staffeln plus Special geschaut und dabei zwei interessante Entdeckungen gemacht. Erstens verändert das Bingen unser Verständnis von Geschichten wesentlich mehr als wir meinen. Zweitens identifizierte ich mich plötzlich mit Rorys Mutter Lorelei und empfand einige Eskapaden ihrer Tochter als reichlich infantil.
Die besten Serien schaffen es, auf irgendeine Weise mehrere Generationen anzusprechen. Doch während „Buffy“ für mich in einigen Jahren vermutlich nicht mehr interessant sein wird, halte ich es nicht für gänzlich ausgeschlossen, dass ich mich eines Tages noch mit Lorelais Mutter und Rorys Großmutter Emily identifiziere. (Welch gruseliger Gedanke.)
Nostalgie ist nicht immer der beste Grund
Es gibt sicherlich so viele Gründe wie Zuschauer, warum man eine Serie mehrmals schaut. Oft handelt es sich einfach um eine Lieblingsserie, von der man nicht Abschied nehmen will – ganz extrem hatte ich das zum Beispiel bei „Battlestar Galactica“, aber auch aktuell bei praktisch jedem Staffelfinale von „The Expanse“.
Manchmal ist es auch pure Nostalgie bis hin zur Verklärung. Gerade in diesen Fällen ist die ständige Verfügbarkeit durch Netflix, Amazon und Co. nicht immer von Vorteil. Es gibt mittlerweile eine lange Liste von Serien, die ich nur einmal gesehen habe und gerne irgendwann nochmal sehen würde. Aber: Das kann auch schnell ins Gegenteil umschlagen. „Earth 2“ hätte ich rückblickend betrachtet lieber in schöner Erinnerung behalten statt beim Rewatch zu merken, dass die Serie absurd schlecht geschrieben war.
Zuschauer sind anspruchsvoller geworden
Natürlich verändern sich auch die Ansprüche an eine Serie mit der Zeit. Heute vielleicht sogar mehr als noch vor zehn Jahren, weil der Siegeszug der Streaming-Dienste völlig neue Formate und Erzählweisen hervorgebracht hat. Je mehr Serien wir schauen, desto mehr vergleichen wir auch – und gerade ältere Produktionen ziehen dann oft den Kürzeren.
Ich bin ehrlich genug, um zuzugeben, dass auch meine „Star Trek: Deep Space Nine“-Reviews davon beeinflusst werden. Gerade im „Star Trek“-Franchise wurde mittlerweile so viel veröffentlicht, dass ich sich wiederholende Plots und Widersprüche nicht mehr so leicht verzeihe. Vielleicht auch, weil ich weiß, dass sie es besser können – „Star Trek: Deep Space Nine“ ist ja nicht umsonst eine Lieblingsserie von mir.
Den Aufwand schätzen lernen
Vielleicht sollte man das Phänomen einfach mal von der anderen Seite aus betrachten: Wäre es nicht schade um den ganzen Produktionsaufwand, wenn wir Serien wie ein Einwegprodukt behandeln? Bedenkt man, wie viele Personen an so einem Projekt beteiligt sind – von den Autoren über die Regisseure und Kameraleute bis zu den Schauspielern und Cuttern – ist es doch geradezu grotesk, anzunehmen, dass man als Zuschauer alle Nuancen schon beim ersten Ansehen erfasst. Und so gesehen ist es eine Form von Wertschätzung der Arbeit, die darin steckt, wenn man eine Serie mehrmals schaut.
Darauf jetzt nochmal die dritte Staffel „Friends“ …
Mir geht es tatsächlich mit Spielen so. Die drei Teile von „The Witcher“ habe ich, ach, ich weiß nicht, ein Dutzend mal gespielt. Manchmal habe ich wie eine Art Heißhunger auf ein bestimmtes Spielgefühl. Auf die Stimmung oder den Humor, oder auf das Panorama der Welt.
Aber es stimmt auch, dass die Ansprüche steigen im Laufe der Zeit. Ein paar der inzwischen fast 20jährigen Titel fände ich aus heutiger Sicht fast etwas lieblos und gehetzt, gerade in der Charakterentwicklung. Da ist man heute schon etwas Anderes gewöhnt (umso schwerer fällt es dann, Titel zu finden, die den gestiegenen Ansprüchen gerecht werden können …)
Jetzt, wo du es sagst, merke ich, dass ich das Phänomen auch von Büchern kenne. Dieses Verlangen, in eine bestimmte Welt zurückzukehren oder liebgewonnene Figuren wiederzutreffen. Zum Glück bisher immer ohne Enttäuschung, aber die Angst davor ist der Grund, warum ich „Krabat“ noch nie als Erwachsene gelesen habe, obwohl ich soooo Lust drauf hätte.