Daredevil: Born again | Sic Semper Systema (1×04)

„You and your Goddamn system!“

Matt Murdock versucht einem kleinkriminellen Wiederholungstäter Gefängnis zu ersparen. Fisk scheitert an Bürokratie. Spoiler!

I hate this city

Der gewaltsame Tod von Hector macht Matt Murdock schwer zu schaffen. Trotzdem lässt er sich von Kirsten dazu überreden, einen neuen Fall anzunehmen: Leroy Bradford, der bereits eine beachtliche Liste kleiner Verbrechen angesammelt hat, wurde beim Diebstahl eines Snacks erwischt. Leroy besteht auf Bewährung, Matt hält das bei seinem Vorstrafenregister für utopisch. Unterdessen stößt auch Wilson Fisk an seine Grenzen, denn all seine visionären Pläne für die Stadt werden von Regeln und Bürokratie erdrückt.

Die Serie verlangt Geduld, belohnt sie aber auch

„Daredevil: Born again“ ist im Vergleich zu anderen Marvel-Serien ein Slowburner. Selbst ich, die ich ruhiges Erzählen Action jederzeit vorziehen würde, ertappe mich hier gelegentlich dabei, wie ich ungeduldig werde. Doch was ich eingangs für eine langweilige Übergangsepisode hielt, die die Story einfach nur von einem Punkt zum nächsten führen soll, entwickelte sich zu einem feinen Charakterstück mit einigen nachdenklich stimmenden Momenten.

„I don’t think you came here for my help. See. I think you want my permission. You wanna get your hands on somebody, huh? Wanna hurt ‘em. Maybe you’re a little bit scared. A little scared about what that means.“

Gerechtigkeit ist eine Frage des Geldes

Die Geschichte von Leroy hat mich jedenfalls unerwartet berührt. Ich habe gerade erst Martin Andersen Nexøs „Ditte Menschenkind“ gelesen, einen Roman, der die Härten der Armut schonungslos seziert. Der gemeinsame Nenner ist, dass es sich um einen Teufelskreis handelt, dem man praktisch nicht mehr entkommen kann, sobald man einmal hineingeraten ist. Im Falle von Leroy waren es Gefängnisstrafen, die ihn wichtige Termine haben versäumen lassen, wodurch er, um zu überleben, immer wieder straffällig werden musste.

So lächerlich es anfangs auch anmutet, dass Matt um jeden Preis eine Bewährung für ihn rausholen soll – auch er wird plötzlich still, als er den Zusammenhang endlich versteht. Wie Leroy sagt: Der Staat gibt lieber fünfmal so viel aus, um ihn einzusperren, als ihm für weniger Geld ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Und damit ist das ganze Drama von Armut in einem Satz zusammengefasst. Matts Triumph, Leroys Strafe auf zehn Tage heruntergehandelt zu haben, verpufft.

Das System ist längst kaputt

Es ist nur einer von vielen Siegen, die für Matt zu bitteren Niederlagen werden. Dass Hector vermutlich von einem Polizisten erschossen wurde, wusste er bereits, bevor er die Patronenhülse mit dem Punisher-Logo fand. Aber dass sich der Täter selbst auch noch als gerechter Vollstrecker sieht, desillusioniert ihn umso mehr. Und nur, um seine Wut darüber nicht gegen sich selbst richten zu müssen, geht er zu Frank Castle. Der sich nicht zum Sündenbock machen lassen will und den Spieß direkt umdreht.

Es folgt die stärkste Sequenz dieser Folge, die den Titel „Sic Semper Systema“ auf den Punkt bringt. Ich vermute, es handelt sich dabei um ein Spiel mit der lateinischen Phrase „Sic Semper Tyrannis“, die sinngemäß ausdrückt, dass Tyrannen immer gestürzt werden. Auch das System, auf das Matt sich ständig beruft, muss unweigerlich zusammenbrechen, wenn gute Menschen wie er tatenlos zusehen, wie es missbraucht wird. Und natürlich weiß er das längst, lässt sich aber lieber von Frank zusammenfalten als es sich einzugestehen.

Der Rückbezug auf Foggy ist es, der Matt schließlich bricht. Und letztendlich auch Frank, als Matt erklärt, dass er besser war als sie beide zusammen. Daredevil mag noch nicht bereit sein, ganz aus ihm herauszubrechen, aber er kratzt definitiv an der Oberfläche – und Matt sträubt sich nicht mehr dagegen. Welche Rolle Frank noch spielen wird, werden wir sehen, ich fand ihn in dieser Folge tatsächlich nicht so nervig wie damals in der Netflix-Serie. (Unnötig zu erwähnen, dass ich das „Punisher“-Spin-off nie geschaut habe.)

„You are all here to help me execute my promises. My promises to the people! Simple promises!“

Als Verbrecherboss war das Leben einfacher

Fisk gibt dagegen eine fast tragische Figur ab. Erst muss er sich durch allerlei nutzlose Empfänge quälen, in denen vom jeweiligen Chor der immer gleiche Song massakriert wird. Dann zerpflückt Assistentin Sheila seine hochtrabenden Pläne, die erst ein Dutzend Kommissionen und Arbeitskreise durchlaufen müssen, bevor sie stillschweigend im Sande verlaufen. Und schließlich erlaubt sich Daniel auch noch einen Social-Media-Fauxpas, der Fisk einen Shitstorm einbringt. Wahrlich nicht seine Woche.

Aber auch in Fisk brodelt es, und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis er den Versuch aufgibt, so zu tun, als wäre er tatsächlich ein Politiker. Mit Adam übt er ja schon ein wenig. Von dem erfahren wir, dass er zwar wirklich noch lebt (ich hab schon nicht mehr dran geglaubt), aber dafür ist er seit weiß Gott wie lange in irgendeinem Keller eingesperrt. So viel auch zum Thema Vergebung, über die Heather diese Woche in ihrer Therapiesitzung mit den Fisks gesprochen hat.

Sic Semper Notis

• Diese Ironie: Starships „We built this City“ handelt noch nicht mal von New York, sondern von San Francisco!
• Ich dachte ja, ein Snack namens Fiddle Faddle muss einfach erfunden sein, aber das Zeug gibt’s wirklich.
• Matt konfrontiert Officer Powell mit dem Mord an Hector, doch ich vermute, sein ruhiger Herzschlag verrät uns, er ist in der Sache tatsächlich unschuldig?
• Dass ich nichts zu Muse schreibe, ist übrigens Absicht, weil die Serie leider keinen guten Job macht, ihn mir vorzustellen. Schon, dass er Muse heißt, weiß ich nur aus anderer Leute Reviews.

4 von 5 singenden Bananen im Kellerverlies.

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