„I was dead. But my rage … My rage had risen. Followed closely behind by my madness.“
Louis schildert seine Rache am Coven für Claudias Tod. Daniel aber lässt nicht locker und spricht die Ungereimtheiten in der Geschichte an. Spoiler!
What was left to endure for? Claudia is dead.
In ihrer letzten Interview-Sitzung erzählt Louis Daniel, wie Armand ihn heimlich aus dem Sarg befreit hat. Manisch vor Trauer und Wut, plant Louis minutiös seine Rache am Coven und setzt das Theater in Brand, als die Vampire schlafen. Santiago, der durch die Kanalisation entkommen kann, lockt er zu sich und schlägt ihm kurzerhand den Kopf ab. Obwohl Louis vorhat, auch Lestat zu töten, lässt er den Plan schließlich fallen und beschließt, dass es Strafe genug ist, sich vor seinen Augen für Armand zu entscheiden. Daniel jedoch bohrt weiter und deckt auf, dass Armand mitnichten ein Opfer war, sondern die Verhandlung, an deren Ende auch Louis sterben sollte, selbst in Szene gesetzt hat.
Ein lachendes und ein weinendes Auge
Diese Review wird schwer. „And that’s the End of it. There’s nothing else.“ ist großartig, versteht mich nicht falsch. Die Folge ist alles, was ich mir erhofft habe, und mehr. Viele meiner Vermutungen werden bestätigt und legen so eine weitere Ebene der Geschichte frei. Schwer ist das, weil ein Teil von mir nicht möchte, dass dieses Kapitel endet. Was absurd ist, denn es wird mindestens eine weitere Staffel geben, die sich auf den Roman „The Vampire Lestat“ stützt (aber naturgemäß ganz anders wird). Abgesehen davon haben wir inzwischen wohl auch endgültig das Terrain einer Adaption verlassen, was den Autoren die Freiheit gibt, die Handlung selbst weiterzuspinnen.
Armand: „I will spend my life making it up to you.“
Louis: „You’ll never make it up to me.“
Armand: „I know.“
Louis, der (inkonsequente) Racheengel
Der Einfachheit halber gehe ich die verschiedenen Stationen der Folge diesmal wohl am besten chronologisch durch. Der erste große Brocken ist Louis’ Rachefeldzug, obwohl ich immer noch nicht verstehe, wieso er bei Daniels Frage nach dem Feuer in „I want you more than anything in the World“ so verwirrt klang. Interessant ist jedoch, dass Louis so offensichtlich nahe am Wahnsinn ist und dann trotzdem sehr kalkuliert vorgeht. Er denkt an jede Eventualität und manipuliert im Vorfeld sogar die Motorräder, mit denen Celeste und Estelle zu fliehen versuchen.
Die größte Befriedigung sowohl für Louis als auch für uns Zuschauer aber ist der Tod von Santiago. Oder Francis. Louis macht sich dessen Eitelkeit geschickt zunutze, um ihn so weit zu eskalieren, dass er sich gänzlich kopflos in den Kampf stürzt. Und dann auf einen Schlag tatsächlich kopflos ist. Es ist seltsam, der Augenblick der Rache fühlt sich fast ein wenig zu kurz an, wenn man bedenkt, wie sehr Claudia und Madeleine leiden mussten. Andererseits war ich irgendwie auch froh, dass man diesen Gewaltausbruch kurz und knapp abhandelt.
Louis’ anschließender Besuch bei Lestat hat etwas seltsam Infantiles an sich. Ich weiß nicht, ob er wirklich die Absicht hatte, ihn zu töten (das hat ja schon beim ersten Mal super geklappt), oder ob er nicht insgeheim sogar hoffte, dass Lestat ihn tötet. Immerhin glaubt er zu diesem Zeitpunkt noch, dass Lestat seinen Tod will, und Louis selbst sagt zu Daniel, dass sein ganzer Racheplan im Kern eine Selbstmordmission war. Als er am Ende vor Lestat demonstrativ Armand küsst, erinnerte mich das jedenfalls an Kindergarten. Ätschi-bätsch und so.
Daniel interpretiert Louis’ Geschichte
Ich glaube, einer der lustigsten Momente für mich ist, als Louis seine Erzählung geradezu abwürgt und Daniel ihn darauf total ernüchtert anstarrt. Ging es uns nicht allen so? So ein, warte, das war alles? Aber Daniel hält die Maskerade des Reporters vorerst aufrecht, indem er ein paar Detailfragen stellt, die bereits die Richtung andeuten, in die er will. Und dann wirft er seine Bombe zielsicher zwischen Louis und Armand und hat dabei diesen Ausdruck ungefilterter Begeisterung im Gesicht: „He didn’t witness the play. He directed the play!“
Da ist es also. Das fehlende Puzzleteil, das mich nach „I could not prevent it“ so irritiert zurückgelassen hat. Bei der Wahl, vor der Armand stand, ging es niemals um Louis, sondern immer nur um seine eigene Existenz. Dafür hat er die angebliche Liebe seines Lebens nicht nur geopfert, nein, er hat auch aktiv an der Vernichtung Louis’ mitgewirkt. Armand zu sehen, wie er bei den Proben des Stücks Regie führt, empfand ich tatsächlich als wahnsinnig befriedigend, weil es alle meine scheinbar irrationalen Vermutungen bestätigte.
„You were supposed to die with Claudia. He didn’t save you, Lestat did! He just took credit for it when the opportunity presented itself. And you wasted everyone who could have told you differently. Seventy-seven years based on a seismic lie.“
Eine weitere Facette von Lestat
Wie sehr sich der Kontext einer Erzählung verschiebt, sobald sich auch nur ein Detail ändert, ist am besten daran ersichtlich, wie Armand und Lestat die Rollen tauschen. Während die neuen Informationen Armand zum klaren Bösewicht der Geschichte stempeln, wird Lestat rehabilitiert und erhält schon fast Heldenstatus. Es war in der Tat er, der Louis’ Todesurteil abgewendet hat. Und ironischerweise hatte Louis immer schon alle nötigen Informationen, um allein drauf zu kommen. Er hat Daniel selbst erzählt, wie Lestat einmal ein ganzes Regiment Soldaten telepathisch kontrolliert hat.
Dass Lestat davon absieht, Louis zu korrigieren, als der regelrecht damit posiert, dass Armand ihm das Leben gerettet hat, mag als erstes Zeichen seines wahren Charakters gedeutet werden. Ich weiß nicht, ob der Hinweis nötig ist, denn mir war das beim Schauen sehr bewusst: Während der Sequenz in der Hütte in New Orleans erleben wir Lestat erstmals außerhalb von Louis’ oder Armands Erzählung. Innerhalb des Serien-Narrativs ist das die erste objektive Darstellung Lestats – und sie weicht signifikant von allen bisherigen Versionen ab.
Das Wiedersehen zwischen Louis und Lestat mag nicht das Ende der Folge sein, ist im Wesentlichen aber der Abschluss der Geschichte. Wir wissen nicht, wie viel von dem, was Louis geschildert hat, tatsächlich so passiert ist. Aber die beiden schließen Frieden mit ihrer Vergangenheit und scheinen endlich eine echte Verbindung zu formen. Der Sturm, der über sie hereinbricht, während sie einander umarmen, ist am Ende die einzig passende Metapher für diese Beziehung. Ein Anfang oder ein Ende? Man lässt uns hier wohl ganz bewusst im Unklaren.
Louis ist endlich mit sich im Reinen
Aber wartet, da ist noch eine Art Epilog, in dem wir erfahren, dass Armand Daniel aus reiner Boshaftigkeit zum Vampir gemacht hat. Immerhin, er scheint sich ganz gut damit abgefunden zu haben und rührt kräftig die Werbetrommel für sein Buch. Das finde ich ja ehrlich gesagt schon lustig, weil Louis noch so theatralisch Daniels Laptop in Brand gesetzt hatte. Von der Cloud hat er wohl auch noch nie was gehört, oder? (Obwohl ich vermute, dass der Talamasca sowieso regelmäßig alle Daten abgegriffen hat.)
Für Louis hat sich zumindest teilweise bewahrheitet, was Armand prophezeit hat: Das Buch hat Vampire auf der ganzen Welt aufgeschreckt. Alle nennen sie ihnen einen Verräter und drohen ihm mit dem Tod, doch passiert ist seither … nichts. Und Louis, der ein Jahrhundert lang mit seiner Existenz gehadert hat, hat endlich erkannt, dass die Unsterblichkeit kein Fluch, sondern ein Geschenk ist. „I own the night“, lauten seine warnenden Worte an alle Vampire, die glauben, sich mit ihm anlegen zu können. End of session.
Louis: „I wanted you to suffer. Because I was suffering.“
Lestat: „Oh. Shall we list all the ways we have wronged each other and why it’ll never be right?“
Der Zuschauer selbst wird Teil der Suche nach der Wahrheit
Obwohl die beiden ersten Staffeln von „Interview with the Vampire“ im Grunde nicht getrennt voneinander zu betrachten sind, da sie zusammen ein Buch abdecken, hinterlässt die zweite Staffel doch einen anderen Eindruck. Rückblickend ist die erste Staffel geradezu konventionell erzählt, da wir im Wesentlichen nur eine einzige Perspektive präsentiert bekommen und die toxische Beziehung zwischen Lestat und Louis im Zentrum steht. Die zweite Staffel ändert das radikal, indem sie die Handlung für komplexere Zusammenhänge öffnet und uns mit Armand zugleich einen zweiten Erzähler präsentiert.
Das Stilmittel des unzuverlässigen Erzählers wird dabei nicht nur konsequent fortgeführt, sondern sogar noch verschärft. Wir haben auf der einen Seite Louis, der sich an vieles nur bruchstückhaft erinnert, aber nach und nach neue Erinnerungen freilegt. Armand auf der anderen Seite manipuliert die Erzählung aktiv, indem er Details auslässt oder falsch darstellt. Und als wäre das nicht schon genug, stellt Daniel fest, dass seine eigene Erinnerung an das erste Interview ebenfalls nicht vollständig ist. Diese Art der Erzählführung ist völlig neu und lässt den Zuschauer wie einen Detektiv selbst nach der Wahrheit in der Geschichte suchen.
Wer sich für das Thema unzuverlässiger Erzähler und erinnerte Wahrheit interessiert, sollte unbedingt auch diesen Artikel lesen und/oder mal bei diesem YouTube-Video reinschauen. Mein Fazit zu dieser Staffel bzw. diesen beiden Staffeln kann jedenfalls nur euphorisch ausfallen. Trotz kleiner Schwächen, die ich in meinen Reviews schon angesprochen habe, ist der Gesamteindruck überwältigend. Genau so erzählt man eine Geschichte, genau so nutzt man das Medium Serie. Und nun warte ich sehnsüchtig auf Lestat als Rockstar.
And that’s the Notes of it. There’s nothing else.
• Die Titlecard zeigt erneut eine andere Skyline über der von Dubai. Ist das das moderne New Orleans?
• Eins verstehe ich nicht: Wieso war es Armand so wichtig, dass Louis bei ihm bleibt, dass er diesen ganzen Aufwand betrieben hat? Er hat seinen Tod billigend in Kauf genommen, Liebe kann es also nicht gewesen sein.
• Lestat erwähnt in einem Nebensatz Akasha, das war ein schönes kleines Easteregg für die Buchfans.
• Die ganze Szene in der Hütte ist so, so schön. Sam Reid überstrahlt einmal mehr alle. Allein, wie er Louis fragt, ob er sich 1973 selbst verletzt hat, Mann, da zerbricht einem das Herz.
• Und ja, Louis sagt etwas zu Lestat, was wir über den Lärm nicht hören können und angeblich auch die Crew beim Dreh nicht gehört hat. Das ist etwas allein zwischen Anderson und Reid.
5 von 5 Bananen, die an zwei Orten gleichzeitig sind.
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