Aus dem Nähkästchen | Schief gewickelt?

„Ich habe jetzt noch mal fast doppelt so viele Stoffteile. Von den schlangenartigen Volants will ich gar nicht erst anfangen, Helen nannte sie Schneckennudel, aber ausgeschnitten sieht es wie Abfall aus, so dass ich aufpassen muss, dass ich sie nicht versehentlich entsorge.“ (aus meinem Tagebuch)
Wickelkleider haben einen unschätzbaren Vorteil: Sie passen auch dann noch, wenn man mal ein Stück Kuchen zu viel gegessen hat. Deshalb packte ich bei der nächsten Stoffbestellung auch gleich das passende Schnittmuster in den Warenkorb, Wickelkleid „Holly“ von Fadenkäfer. Um es vorwegzunehmen: Das Ergebnis ist okay, könnte aber besser sein. Und damit bin ich jetzt wohl offiziell in der Ära meiner Nähtätigkeit angelangt, in der ich professionelle Schnittmuster kritisiere, ähem …

Der Horror hat einen Namen: Rollsaum

Wenn ich ganz ehrlich bin, hat mir das Schnittmuster ganz schön Respekt eingeflößt, als ich es das erste Mal vor mir ausbreitete. Bislang habe ich ausschließlich Kleidung genäht, die mehr oder weniger unter „Anfänger“ einzuordnen war, „Holly“ hingegen firmiert unter Nählevel mittel. Was sich vor allem darin äußert, dass es wahnsinnig viele Schnittteile hat. Und viele davon musste ich dann auch noch zweimal zuschneiden, da habe ich trotz Liste ziemlich rotiert, um den Überblick zu behalten.
Danach dauerte es eine weitere Ewigkeit, bis ich das tatsächliche Kleid nähen konnte. Abgesehen davon, dass alle fünf Millionen Einzelteile versäubert werden mussten, bekamen die Volants und Ärmel auch noch Rollsäume. Nicht die Variante mit dem speziellen Nähfuß, sondern die, bei der man den Zickzackstich auf eine Länge von 0,2 mm einstellt und den Stoff halb von Hand durchziehen muss, damit er sich überhaupt von der Stelle bewegt. Kurz: Es dauert Äonen. Für drei Meter Volant brauchte ich anderthalb Stunden und bin vom Starren auf die Nadel dabei fast irre geworden.

Puzzeln für Fortgeschrittene

Das Gute ist, als die Rollsäume erst mal erledigt waren, war der Rest eigentlich nur noch ein simples Puzzlespiel. Dass einzelne Schnittteile nicht exakt zusammenpassten und beispielsweise ein Volant am Oberteil plötzlich ein paar Zentimeter zu kurz war, schreibe ich ausschließlich mir selbst zu. Ich vermute, das ist vor allem der Stoffwahl geschuldet, ein glatter Webstoff wäre dem knittrigen Musselin wahrscheinlich vorzuziehen gewesen. Gerade bei so etwas wie Volants, die im Kreis und somit teils in der Diagonale zugeschnitten werden.
Das Schnittmuster kam mit einem Code, um online eine ausführliche Anleitung mit Bildern herunterladen zu können, außerdem gibt es auch ein YouTube-Tutorial, alles in allem bekommt man hier also sehr viel Hilfestellung. Teilweise fand ich das sehr nützlich und hatte auch vergleichsweise wenige Probleme beim Zusammennähen der einzelnen Schnittteile. Ich hätte mir lediglich mehr Erklärung gewünscht, auf welcher Seite das Loch fürs Bindeband sein muss, wenn man die Schleife später auf dieser oder jener Seite binden will. Das fand ich nur durch viel Herumprobieren vorm Spiegel heraus.

Passform-Probleme und nachlässiges Finish

Dass ich mit dem Wickelkleid nicht gänzlich zufrieden bin, liegt vor allem an kleinen Details. Das Schnittmuster war vergleichsweise günstig, von der Marke hatte ich bisher auch nur zwei sehr einfache mit wenigen Schnittteilen, bei denen entsprechend nicht so viel schiefgehen kann. Andererseits wirbt man explizit damit, dass die Schnittmuster intensiv getestet werden, und den Eindruck hatte ich hier an einigen Stellen leider gar nicht.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Passform. Vielleicht ist es utopisch, ein einziges Schnittmuster für alle Größen zwischen 32 und 58 anbieten zu wollen. Mein Eindruck ist, dass hier vor allem die kleinen Größen die Verlierer sind, da die Passform eher für kräftigere Frauen gemacht ist. Ich hatte mich gemäß Maßtabelle für Größe 36 entschieden, doch für alles unterhalb von Körbchengröße B ist das Oberteil schlicht zu locker geschnitten. Es klappt auf, sobald ich mich nur ein kleines bisschen nach vorne beuge. Ich habe nun unsichtbar auf der Innenseite einen Druckknopf angebracht, aber bei einem guten Schnittmuster sollte so etwas nicht nötig sein.
Mein zweites Ärgernis ist technischer Natur und reizt vor allem die Perfektionistin in mir. Zum einen gibt es für die beiden Bindebänder nur ein Schnittteil, obwohl ein Band später noch mal deutlich gekürzt werden muss. Bei mir waren das 50 cm, das ist kein Pappenstiel und reine Stoffverschwendung. Sei’s drum, viel ärgerlicher finde ich, dass die Bindebänder ganz zum Schluss einfach auf den Volant drauf genäht werden. Konnte man da wirklich keine elegantere Lösung finden? Sollte ich dieses Kleid jemals wieder nähen (was ich momentan bezweifle, da mir das Wissen um Passform-Anpassungen fehlt), würde ich definitiv versuchen, die Bänder in einem früheren Schritt irgendwo in eine Naht einzuarbeiten.

Fazit

Ich werde mein Wickelkleid diesen Sommer auf jeden Fall tragen, denn glücklicherweise ist das Muster unruhig genug, dass die beschriebenen Kleinigkeiten höchstens Leuten auffallen, die selbst nähen. Auch sollen euch meine Probleme keinesfalls davon abhalten, das Schnittmuster selbst auszuprobieren, vor allem, wenn ihr schon etwas fortgeschrittener seid. Mein Tipp wäre, sich schon beim Zuschnitt mit der Passform auseinanderzusetzen und sie gegebenenfalls anzupassen. Und wenn ihr eine hübsche Lösung für das Bindeband findet, lasst es mich auf jeden Fall wissen!