„Man kann hier ein Leben gehabt haben.“
(„Severance“)
Seit ich von Streamingdienst zu Streamingdienst hopse, lautet die Frage immer: Hebe ich mir die mutmaßlich guten Serien bis zum Schluss auf oder schaue ich sie sofort? Nun, bei Apple TV+ zumindest sind mir ein paar Highlights lange durchgerutscht, namentlich „Severance“ und „Shrinking“. Manches andere hätte ich mir wohl auch sparen können … Spoiler!
The Changeling (Staffel 1)
Apollo Kagwa, Händler für antiquarische Bücher, lernt in einer New Yorker Bibliothek Emma Valentine kennen und überredet sie zu einem Date. Die Beiden werden ein Paar, heiraten und bekommen ein Kind. Doch nach der Geburt ihres Sohnes Brian wird Emma zunehmend paranoid. Überzeugt, dass ihr Baby ausgetauscht wurde, tötet sie Brian und verschwindet spurlos. Auf der Suche nach ihr stößt Apollo auf die „Wissenden“, eine Gruppe von Hexen, die auf einer verborgenen Insel einen Zufluchtsort für Mütter wie Emma geschaffen haben. Doch die ist schon wieder weg und sucht nach ihrem echten Sohn.
„The Changeling“ beginnt faszinierend anders, eine Art modernes Märchen über Feen, die Babys stehlen und durch Wechselbälger ersetzen. Doch leider verliert die Serie zunehmend ihren Fokus, weil sie unbedingt eine epische Geschichte über mehrere Generationen erzählen will. Die vorletzte Folge empfand ich persönlich als Beleidigung, da wurde der Plot komplett zur Seite gepackt, um in einem Monolog mit Rückblenden eine Nebengeschichte zu erzählen. Das Staffelfinale ist mit 31 Minuten die kürzeste Folge und besteht fast nur Action (im Dunkeln und im Regen), ohne eine einzige Antwort zu liefern.
1 von 5 Bananen, die von Feen entführt wurden.
Severance (Staffel 1)
Die Biotech-Firma Lumon Industries hat ein Verfahren entwickelt, bei dem mittels eines Chips im Gehirn die Wahrnehmungschronologie getrennt wird: das Severance-Verfahren. Wer sich der Prozedur unterzieht, lebt fortan zwei völlig voneinander getrennte Leben, ein berufliches und ein privates. Weder „Innie“ noch „Outie“ können sich an das Leben des anderen erinnern, sobald das Firmengebäude betreten bzw. verlassen wird. Auch Mark hat sich der Prozedur unterzogen, doch die neue Kollegin Helly, die einfach nur wieder weg will, bringt ihn zum Nachdenken.
Bis zu einem gewissen Grad kann „Severance“ zweifellos als Kommentar zur modernen Arbeitswelt verstanden werden: Entmenschlichung des Einzelnen, Entkoppelung der Tätigkeit vom Ergebnis, seltsame Benefits oder auch willkürlich handelnde Vorgesetzte. Doch je länger wir mit unseren Helden durch die endlosen weißen Gänge irren und zu verstehen versuchen, was da bei Lumon vor sich geht, desto surrealer wird das alles. „Severance“ ist eine der wenigen Serien, die man eigentlich nicht erklären kann, eine Mischung aus „Devs“ und „Legion“, und doch absolut einzigartig.
4 ½ von 5 Bananen, auf Nachfrage auch mit Händedruck.
Irving: „Absolut alles, was wir hier tun, ist wichtig.“
Helly: „Ist es wichtig, weil es so ist, oder weil sie das sagen?“
(„Severance“)
Constellation (Staffel 1)
Als es auf der ISS zu einem Unfall kommt, muss die Station evakuiert werden. Kommandantin Johanna Ericsson bleibt zunächst zurück, um die zweite Sojus-Kapsel zu reparieren und ein wertvolles Experiment zu bergen, kehrt dann aber ebenfalls zur Erde zurück. Doch alles scheint irgendwie subtil verändert: Tochter Alice kann plötzlich kein Schwedisch mehr, das Familienauto ist blau statt rot, und Kollege Frederic deutet an, dass sie vor dem Abflug eine Affäre mit ihm hatte. Außerdem ist Jo überzeugt davon, dass die Leiche einer sowjetischen Kosmonautin mit der ISS kollidiert ist.
„Constellation“ ist eine durchwachsene Sache. Einerseits ist die Idee paralleler Welten, die sich ungewollt vermischen, äußerst faszinierend und stellenweise hervorragend visualisiert. Aber die Serie als Ganzes ist so behäbig erzählt, dass ich manchmal wirklich kämpfen musste, meine Gedanken nicht abschweifen zu lassen. Was hier in acht einstündigen Folgen breitgewalzt wird, hätte man deutlich kompakter und spannender in einen Zwei-Stunden-Film packen können. Immerhin, die Geschichte wird mehr oder weniger abgeschlossen, die letzte Szene kann man getrost ignorieren, da es keine zweite Staffel geben wird.
2 ½ von 5 Bananen in einem anderen Zustand von Materie.
Shrinking (Staffel 1)
Seit dem Tod seiner Frau hat sich Therapeut Jimmy gehen lassen. Er hat sich von seiner Tochter Alice entfremdet, den Kontakt zu seinem besten Freund Brian abgebrochen und seine Patienten vernachlässigt. Als er eines Tages in einer Sitzung völlig verkatert seine ehrliche Meinung sagt und der Patientin damit tatsächlich hilft, beginnt er, die Methode auch bei anderen einzusetzen. Sean, einen Veteran mit Aggressionsproblem, lässt er sogar bei sich wohnen. Jimmys Chef Paul ist nicht begeistert, hat aber eigene Probleme: Soll er seiner Tochter von seiner Parkinson-Erkrankung erzählen?
Ich gebe zu, ich war anfänglich skeptisch, doch dann wuchsen mir die Figuren mit jeder Folge mehr ans Herz, und ich hätte gerne noch viel mehr von ihnen gesehen. Natürlich ist Jimmy das Herz der Serie, und wie schon bei „How I met your Mother“ spielt ihn Jason Segel als den netten Typen von nebenan. Schwerer zugänglich, dafür aber wesentlich interessanter ist Griesgram Paul, von Harrison Ford in absoluter Perfektion verkörpert. Er hält die Menschen auf Distanz, weil er den Verlust seiner Autonomie fürchtet, und das ist toll erzählt, ohne uns eine allzu einfache Lösung zu präsentieren. Mehr davon!
5 von 5 Bananen, die süchtig nach Süßigkeiten sind.
Alice: „Schnell, eine Sternschnuppe, wünschen wir uns was!“
Dusty: „Jaaa, ich glaube, die nennt man Boing.“
(„The Big Door Prize“)
The Big Door Prize (Staffel 2)
Der Morpho-Automat schaltet seine zweite Stufe frei: Durch Einlegen der Karte mit dem Lebenspotenzial sieht man nun eine kurze Videospiel-Sequenz aus dem eigenen Leben. Diese schon bald als „Vision“ bezeichneten Filmchen bringen einigen der Menschen endlich Seelenfrieden, andere hingegen sind einfach nur verwirrt. Dusty und Cass einigen sich auf eine sechswöchige Beziehungspause, um frei von Verpflichtungen auf „Selbsterkundung“ zu gehen. Dass Dusty kurz darauf mit Kollegin Alice ausgeht, macht Cass dann aber doch eifersüchtig. Auch der Rest der Stadt steht einmal mehr Kopf.
Interessanterweise sind mir einige der Figuren, die ich in der ersten Staffel noch uninteressant oder nervtötend fand, diesmal doch ans Herz gewachsen. Man hat das Gefühl, dass die Autoren selbst erst mit ihnen warm werden mussten und nun freier erzählen können, was der Morpho-Automat mit ihnen macht. Es ist ein bisschen wie ein Horoskop, das alle ein bisschen zu ernst nehmen und nach Belieben interpretieren. Der Konflikt zwischen Dusty und Cass war mir dennoch etwas zu konstruiert, da er scheinbar nur durch die Trennung entstand, deren Bedingungen sie ganz explizit nie festgelegt haben. Wie auch immer, ich hoffe, wir erfahren noch, wie es (in Stufe 3?) weitergeht.
3 ½ von 5 Bananen vom renommierten Künstler namens 3D-Drucker.