„Für den Verstand war hier kein Raum mehr. Für Wachstum, für Pflanzen war Raum. Wie in einem Treibhaus.“
Die Zukunft der Erde ist grün
Millionen Jahre in der Zukunft sind Erde und Mond zum Stillstand gekommen und befinden sich im selben Abstand zur unerbittlich brennenden Sonne. Die Fauna der Erde ist größtenteils ausgestorben, die dauerhaft von der Sonne beschienene Seite des Planeten wird von einer monströsen Pflanzenwelt beherrscht, in der nur noch wenige riesige Insektenarten überleben können. Auch die auf ein Fünftel ihrer früheren Größe geschrumpften Menschen haben in dieser Welt ihre Nische gefunden und leben in kleinen Gruppen in den Bäumen, um die wenigen „Mannkinder“ zu schützen, die noch geboren werden.
Wir verfolgen die Geschichte der Gruppe von Lily-Yo, die zusammen mit anderen Erwachsenen am vermeintlichen Ende ihres Lebens ins Himmelsreich aufsteigen will. Als blinde Passagiere eines kilometergroßen Querers (einem spinnenartigen Pflanzenwesen) reisen sie zum Mond, wo sie ein gänzlich neues Leben erwartet. Unterdessen verlässt Mannkind Gren die verbliebene Gruppe und trifft auf die Morchel, einen pilzartigen Parasiten, der ihm zunächst hilft, ihn dann aber für seine eigenen Zwecke ausnutzt. Gemeinsam mit seiner Frau Yattmur verschlägt es Gren schließlich sogar in die von ewiger Dunkelheit erfüllten Bereiche der Erde.
„Über ihnen brannte eine große Sonne und lähmte das halbe Himmelreich. Sie brannte ohne Unterlass an der ewig gleichen Position und würde dort bis zu dem nicht mehr utopisch fernen Tag brennen, an dem sie erlosch.“
Eine detailverliebte Erzählung,
doch ohne emotionale Tiefe
Der im Original ebenso treffend, jedoch weniger poetisch betitelte Roman „Hothouse“ von Brian W. Aldiss erschien in Form von fünf Novellen bereits 1961 im „ Magazine of Fantasy & Science Fiction“. Das Serienhafte merkt man ihm durchaus an, ständig muss irgendwas passieren, um den Leser bei der Stange zu halten, Reflexion findet kaum statt. Zudem bricht die Handlung um Lily-Yo und ihre Gefährten abrupt ab und wird erst ganz am Schluss wieder aufgegriffen. Mich hat das tatsächlich den ganzen Roman über irritiert, weil ich mich die ganze Zeit fragte, ob da noch was kommt. Insgesamt funktioniert „Der lange Nachmittag der Erde“ als Abenteuergeschichte ziemlich gut, allzu viel emotionale Tiefe sollte man allerdings nicht erwarten, da uns die Gedankenwelt der Protagonisten weitgehend verschlossen bleibt.
Was bei der Lektüre sofort auffällt, ist Aldiss’ Liebe zum Detail. Die Welt, die er entwirft, steckt voller Wunder, vom großen, den ganzen Kontinent umfassenden Banyan-Feigenbaum bis zu den zahllosen Gefahren, die darin lauern. Hier finden sich seltsame Gestalten wie die Drippellippe, der Fluppstrupp, der Mampfstrumpf oder auch die Termiezen – der Übersetzer durfte sich hier sichtlich austoben. Spannend ist, dass das weitgehende Aussterben der Tierwelt in Aldiss’ Fantasie nicht dazu geführt hat, dass das Leben friedlicher geworden ist. Zwar wird die Stille betont, die in dieser neuen Welt herrscht, doch viele Pflanzen ahmen nun Tiere nach und haben deren Jagdmethoden adaptiert. Davon zeugen auch die sogenannten Querer, die wie Spinnen mithilfe von Fäden über den Himmel ziehen und sogar ins Weltall reisen.
Darüber, wie plausibel die dargestellte Zukunft der Erde ist, ließe sich vermutlich trefflich streiten. Dass die fehlende Rotation des Planeten und der Verlust des Mondes als Satellit keine größeren Auswirkungen auf seine Struktur, Atmosphäre oder Gravitation hat, halte selbst ich als Laie für zweifelhaft. Wirkungsvoll ist das gezeichnete Bild nichtsdestotrotz, vor allem in Kombination mit dem deutschen Titel „Der lange Nachmittag der Erde“, der den nahenden Abend, sprich das Ende allen Lebens auf dem Planeten bereits impliziert. Gerade zum Schluss hin verdichten sich die Hinweise, dass die Strahlung der Sonne immer weiter zunimmt und sie in wenigen Generationen zur Nova werden wird. Das Erstarken der Natur kann man dann durchaus als letztes, gewaltiges Aufbäumen interpretieren.
Seinen Status als „Meisterwerk der Science-Fiction“ trägt „Der lange Nachmittag der Erde“ zweifellos zurecht, da Aldiss ein faszinierendes Szenario entwirft. Seine ausführlichen Beschreibungen lassen diese von Pflanzen überwucherte Welt beim Lesen lebendig werden und ziehen einen unweigerlich in ihren Bann. Allerdings muss man diese Art von Roman auch mögen, denn die naiven Figuren taugen kaum zur Identifikation und sind in ihrer intellektuellen Schlichtheit bei mehr als einer Gelegenheit auch äußerst frustrierend. Als abenteuerliche Reiseerzählung macht das Ganze letzten Endes viel Spaß und rückt so manches wieder ins richtige Verhältnis: Der Mensch ist eben doch nicht so bedeutend, wie er glaubt.
3 ½ von 5 Bananen, die ans Grün fallen.
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