Bücherstapel | Mark Dunn „Ella Minnow Pea“

„The Council is wrong. Yet, observe that none of us will risk telling it so, for fear of the consequences.“



Wachsende Sprachlosigkeit

Das Leben auf der Insel Nollop steht ganz im Zeichen der Sprache. Gegründet zu Ehren von Nevin Nollop, der das berühmte Pangramm „the quick brown fox jumps over the lazy dog“ erfunden haben soll, schreiben die Bewohner einander lange und ausgefeilte Briefe, während Technik geringgeschätzt wird. Eines Tages aber fällt von der Statue Nollops die Kachel mit dem Buchstaben Z herab. Der Hohe Rat ist sich sicher: Das ist ein Zeichen Nollops. Der Gebrauch des besagten Buchstabens wird verboten und unter Strafe gestellt, bei drei Verstößen droht die Verbannung. Die Inselbewohner sehen es zunächst als Herausforderung, ihre Sprache entsprechend anzupassen, doch dann fallen immer mehr und mehr Buchstaben. Es entsteht ein Klima der Selbstzensur und Angst, Nachbarn denunzieren einander bei den Behörden, selbst das Postgeheimnis wird außer Kraft gesetzt.

„I am so fearful, Ella, as to where this all may lead. A silly little letter, to be sure, but I believe its theft represents something quite large and oh so frighteningly ominous. For it stands to rob us of the freedom to communicate without any manner of fetter or harness.“

Sprache ist mehr als die einzelnen Buchstaben

„Ella Minnow Pea“ von Mark Dunn ist nicht im eigentlichen Sinne ein Roman, sondern vielmehr ein sprachliches Experiment. Zwar folgt das Buch einer groben Handlung, doch da diese ausschließlich in Briefen und Ankündigungen durch den Hohen Rat erzählt wird, liegt der Fokus in erster Linie auf der Formulierung und sprachlichen Ausgestaltung. Denn parallel zu den herabfallenden Kacheln müssen auch die Briefe mit immer weniger Buchstaben auskommen – bis am Ende eine nur mehr lautmalerische Sprache steht.
Das ist reizvoll, jedoch sollte man sich darüber klar sein, dass das Buch keine der üblichen Erwartungen an einen Roman erfüllt. Die Figuren bleiben vage und existieren eigentlich nur als Namen, verwandtschaftliche oder freundschaftliche Beziehungen sind teilweise nur schwer nachvollziehbar. Da die sprachliche Herausforderung vor allem in der reduzierten Anzahl von Buchstaben bestand, ist es kaum möglich, die Figuren anhand eines bestimmten Schreibstils oder Erzählduktus zu unterscheiden. Und weil im Briefkopf auch jeder Hinweis auf den Absender des jeweiligen Briefes fehlt, wusste ich tatsächlich meistens erst bei der Abschiedsformel, wer ihn geschrieben hatte. Spannung bezieht die Geschichte also vor allem aus den immer strenger werdenden Regeln des Hohen Rats und bleibt daher recht abstrakt.
Dennoch, ganz so harmlos ist „Ella Minnow Pea“ nicht, wenn man zwischen den Zeilen zu lesen weiß. Denn die geradezu groteske Verehrung Nollops durch den Hohen Rat, die dazu führt, dass sie die Reduzierung des Alphabets als göttliche Aufgabe betrachten, ist nichts anderes als eine Metapher für den Verlust von Meinungsfreiheit, ein Sinnbild für sprachliche Einschränkungen im Sinne einer Ideologie. Alle wissen, dass es Schwachsinn ist, doch keiner wagt etwas zu sagen – aus Angst vor Repressalien. Und natürlich gibt es auch die „gehorsamen“ Bürger, die nur „ihrer Pflicht“ nachkommen und Nachbarn denunzieren, denen der kleinste Fehler unterläuft. Jeder mag daraus seine eigenen Schlüsse ziehen, für mich jedenfalls wirkt das 2001 erschienene Buch heute aktueller denn je.
Ergänzend sei gesagt, dass „Ella Minnow Pea“ (übrigens ein Wortspiel auf LMNOP) trotz seiner ungewöhnlichen Prämisse sogar in einige andere Sprachen übersetzt wurde. In Deutschland ist das Buch als „Nollops Vermächtnis“ erschienen, jedoch inzwischen nur noch antiquarisch zu haben. Über die Qualität der Übersetzung kann ich persönlich keine Aussage treffen, mir wurde aber von einem begeisterten Leser versichert, dass der Übersetzer ganze Arbeit geleistet hat und die Geschichte auch auf Deutsch ihren Charme behält.

3 ½ von 5 B*n*nen.