„We’re not normal. We’re us. And we’re incredible.“
Das ist keine Übung. Ich wiederhole, das ist keine Übung! Lucifer und Chloe haben Sex! Miteinander! Damit habe ich zur Abwechslung sogar mal etwas, worüber ich schreiben kann, und muss mich nicht länger am allgemeinen Beziehungstheater der Serie abarbeiten. Deshalb wird das heute auch etwas anders laufen, denn ich möchte am Beispiel von „Lucifer“ über den sogenannten „female gaze“ sprechen bzw. darüber, welchen Zweck Sexszenen eigentlich verfolgen. Beginnen möchte ich aber mit einem Thema, von dem ich froh bin, dass es in dieser Staffel noch einmal aufgegriffen und aufgelöst wurde. Spoiler!
Begegnung auf Augenhöhe
Eines der größten Hindernisse, das dem Paar schon relativ früh in der Serie zwischen die Beine geworfen wurde, ist Chloes Status als „Geschenk Gottes“. Wir erfuhren, dass Chloes Eltern lange vergeblich versucht hatten, ein Kind zu bekommen, und Amenadiel dann von seinem Vater den Auftrag bekam, sie zu segnen. Das Timing hatte immer ein Gschmäckle, und unter uns, Lucifer hat sich in der Situation als wahrer Gentleman erwiesen. Weil er nämlich glaubte, dass Gott Chloe in Bezug auf ihn den freien Willen genommen hat, zog er sich zurück, damit sie ihre eigene Entscheidung treffen kann.
Staffel 5 greift das wieder auf, als endlich auch Chloe selbst davon erfährt und erwartungsgemäß in dasselbe tiefe Loch fällt wie damals Lucifer. Doch das Geschenk war niemals Chloe als Person, sondern ihre Fähigkeit, ihn als den zu sehen, der er wirklich ist. Erinnern wir uns, Lucifers „Superkraft“ ist Begierde. Dass Frauen (und manche Männer) von ihm angezogen werden wie Motten vom Licht, liegt daran, dass er für sie wie ein Spiegel ist. Sie sehen nicht ihn, sondern ihr eigenes Begehren reflektiert. Deshalb konnte Lucifer auch nie eine emotionale Bindung zu einem seiner Sexualpartner aufbauen. Chloe hingegen war dagegen von Anfang an immun, ihre Gefühle für ihn sind eben gerade nicht manipuliert, sondern durch und durch ihre eigenen.
Vom Playboy zum Frauenversteher
Nun ist „Lucifer“ auch eines der besten Beispiele dafür, wie sich eine Serie seinem Publikum anpasst. Als sie startete, war der „male gaze“ allgegenwärtig. Frauen waren mit Ausnahme von Chloe austauschbar und nur dazu da, bevorzugt nackt durch Lucifers Apartment zu flanieren. Obwohl das durch die Spiegel-Theorie nun irgendwie erklärt wird, wurde es ja trotzdem auf einen bestimmten Effekt hin so inszeniert. Als Lucifer in „Stewardess Interruptus“ an die hundert attraktive Frauen aufmaschieren ließ, mit denen er in den letzten Monaten was hatte, dann wurden damit Männerphantasien bedient, gewiss nicht die von Frauen.
Schon in der dritten Staffel lässt sich ein schleichender Paradigmenwechsel beobachten, der ab vierten dann jedoch offensichtlich ist. Die Macher haben gemerkt, dass der Großteil der Fangemeinde weiblich ist, und den Tonfall entsprechend angepasst. Ob das schon ausreicht, um von einem „female gaze“ zu sprechen? Die Definition ist schwammig, zumal es dabei nicht darum gehen sollte, die Sexualisierung einfach umzudrehen. Genau das ist aber passiert, denn so oft, wie wir seither Tom Ellis’ Rückseite in voller Pracht genießen dürfen, lässt sich das kaum noch als Story-relevant verkaufen. Nicht, dass ich mich beschwere.
Sex als erzählerische Zäsur
Umso gespannter war ich, wie sie die unvermeidliche Sexszene inszenieren. Machen wir uns nichts vor, in den meisten Fällen erfüllt diese keinerlei erzählerischen Zweck, sondern dient lediglich als Zäsur innerhalb einer Liebesgeschichte. Nach dem Sex gehen sowohl Protagonisten als auch Zuschauer üblicherweise dazu über, von einem „Paar“ oder einer „Beziehung“ zu sprechen. Aber ist das eigentlich noch nötig, wenn die Figuren auch davor schon zweifelsfrei eine Beziehung haben?
In einer Review zur vierten Staffel schrieb ein Rezensent, dass die Liebeshandlung eigentlich in dem Moment auserzählt war, als Chloe Lucifer ihre Liebe gestand und er das (auf seine Weise) ebenfalls tat. Er hatte Sex mit Tausenden von Frauen, das ist also nichts irgendwie Exklusives, was er unbedingt auch mit ihr haben muss. Dass aber eine Frau ihm sagt, dass sie ihn liebt, ihn als Person und nicht als Reflexion ihrer eigenen Bedürfnisse, das war bereits der Höhepunkt dieser speziellen Liebeshandlung.
Frauen, die auf Männer starren
Die Sexszene in der Folge „BlueBallz“ ist so gesehen unnötig, auch wenn man ihr zugutehalten muss, dass sie ästhetisch ist. Denn anders als frühere Eskapaden Lucifers wurde sie ganz klar für das weibliche Publikum gefilmt, mit Fokus auf Tom Ellis, während Lauren German bis zur Abblende sämtliche Kleidung anbehalten darf. Ob man es jedoch als Fortschritt feiern sollte, dass nun der Mann als Sexobjekt inszeniert wird, muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich kann das letzten Endes auch nur aus der weiblichen Perspektive beurteilen.
Interessanterweise war alles, was danach kam, wesentlich aufschlussreicher und damit auch klarer dem „female gaze“ zuzuordnen. Sex einmal nicht als Zäsur, sondern nur als weiterer Schritt in einer Beziehung, das funktioniert bei „Lucifer“ erstaunlich gut. Vor allem begehen die Autoren nicht den Fehler, den erstbesten Streit für eine Trennung zu nutzen, sondern die Figuren das aussitzen (und ausdiskutieren) zu lassen.
Happyend ausgeschlossen?
Die größte Schwierigkeit, die ich für die sechste und finale Staffel in Bezug auf die Liebeshandlung sehe, ist die Unmöglichkeit eines Happyends. Der alte Aberglaube, wonach die Spannung raus ist, sobald sich die Liebenden kriegen, ist mittlerweile zum Glück ja widerlegt. Insofern denke ich, dass Lucifer und Chloe zunächst glücklich miteinander werden. Aber für wie lange? Lucifer ist immer noch ein „celestial being“ und somit unsterblich, Chloe ein normaler Mensch, der altert und stirbt. Keine Idee, wie man da einen befriedigenden Abschluss finden will.