Mein Haus, mein Auto, meine CD-Sammlung. Unter zahllosen Schichten zivilisatorischer Errungenschaften sind wir Menschen im Grunde noch immer Jäger und Sammler. Wir lieben es, Dinge zu erobern, vor allem aber besitzen wir gerne Dinge. In Zeiten von Gigabytes, Clouds und Streaming jedoch müssen wir die Grenzen von „Besitz“ neu definieren.
Die Evolution der Datenträger
Die erste CD, die ich mir von meinem eigenen Taschengeld kaufte, war Giorgio Moroders Soundtrack für den Film „Metropolis“. Diese Anekdote erzählte ich eine Zeitlang ganz gerne im Freundeskreis, um meinen exzellenten Musikgeschmack herauszustellen. Und natürlich, um zu betonen, dass ich nie eine von denen war, die Boygroups angeschmachtet haben.
Aus heutiger Sicht ist die Geschichte aber aus einem ganz anderen Grund bemerkenswert: Als ich mir diese CD kaufte, besaß ich noch nicht einmal einen eigenen Player. Es waren die Neunziger, als sich gerade der Wechsel von der guten alten Musikkassette zur CD vollzog. Ich entschied mich damals ganz bewusst für eine CD, weil ich an den Erfolg des neuen Mediums glaubte. Den Soundtrack konnte ich aber erst mal nur auf dem Player meines Vaters anhören.
Heute ist selbst die CD hoffnungslos veraltet. Musik wird nicht mehr auf Tonträgern gekauft, sondern als Datei. Und ganz modern ist, wer sie gar nicht erst kauft, sondern nur noch streamt. Besitz auf fremden Servern, theoretisch immer und überall verfügbar.
Die Macht der Anbieter
Das Wort „theoretisch“ ist in dem Zusammenhang wichtiger, als den meisten klar sein dürfte. Sicher, auch ich freue mich, dass ich Serien bei Netflix oder Amazon Prime schauen kann, wann immer ich will. Und ohne den cleveren Algorithmus von Spotify, der meinen Geschmack mittlerweile besser kennt als ich selbst, würde ich jede Menge guter Musik niemals entdecken.
Aber: Ich bin darauf angewiesen, dass diese Dienste mir die Serien, Filme und Songs auch tatsächlich zur Verfügung stellen. Wenn Netflix beschließt, dass die Lizenzgebühren für meine Lieblingsserie zu hoch geworden sind, dann ist die eines Tages eben einfach weg – meistens ohne Vorwarnung.
Und das ist noch nicht mal das Worst-Case-Szenario. Was passiert zum Beispiel mit meinen digitalen Käufen, wenn der Anbieter, auf dessen Server die Daten liegen, pleite geht? Faktisch bezahle ich nur für die Illusion von Besitz, nicht für den Besitz selbst. (Das Ende von UltraViolet mag noch nicht viele treffen, ist aber symptomatisch für die Problematik.)
Die Dehnbarkeit des Begriffs „Besitz“
Das Argument, dass digitale Käufe dabei helfen, Verpackungsmüll zu vermeiden, ist freilich nicht völlig von der Hand zu weisen. Bei CDs geht der Trend in den letzten Jahren bereits in Richtung Pappschuber anstelle von Plastikhülle, bei Games allerdings werden häufig noch immer riesige Kartons verkauft, in denen am Ende nur eine einzige Disk liegt.
Vermutlich ist es eine Frage der Persönlichkeit, wie hoch man physischen Besitz schätzt. Die einen bejubeln den Siegeszug des handlichen E-Books und freuen sich über eine Wohnung ohne Staubfänger. Andere möchten auch weiterhin eine reale Bibliothek pflegen, in der echte Bücher stehen.
Manches ist auch eine Frage der Technik. Solange mein alter CD-Player noch einwandfrei funktioniert, sehe ich kaum einen Grund, in einen teuren Medienserver zu investieren. Als Folge davon landen digitale Käufe bei mir bisher immer noch über kurz oder lang auf einer CD. Tatsächlich erinnert mich das Ganze frappierend an den langsamen Übergang von der Musikkassette zur Scheibe.
Das Ende vom Lied?
Fakt ist, die Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten. Genauso wie der Videorekorder und das Kassettendeck ausstarben, werden auch immer weniger Blu-Ray- und CD-Player in den Handel kommen, bis sie schließlich ganz verschwinden. Und manches hat sicher auch Vorteile: Daten in einer Cloud zu speichern, spart Platz, den man beim nächsten Umzug wahrscheinlich zu schätzen weiß.
Auf der anderen Seite, wer kann mir versichern, dass die Cloud morgen noch da ist? Von Bedenken bezüglich Datenschutz einmal ganz abgesehen. Auch meine Lieblingsfilme und -serien werde ich mir weiterhin auf Blu-Ray kaufen. Nicht, weil ich sie mir unbedingt ins Regal stellen will, sondern weil ich nicht darauf vertrauen möchte, dass sie mir Netflix und Co. auch in fünf Jahren noch zur Verfügung stellen. Denn Besitz, das ist für mich immer noch etwas, was ich in die Hand nehmen kann.
Tatsächlich empfinde ich die physische „Besitzlosigkeit“ eher als befreiend. Ich war nie ein Horter und Sammler. Ich besitze natürlich auch gern Dinge, aber das Medium ist mir egal.
Klar, sollten Server mal ihren Dienst einstellen, bin ich angeschmiert. Dasselbe gilt jedoch, wenn mal, Gott bewahre, meine Wohnung abbrennt. Dann wären die Clouddaten tatsächlich noch vorhanden.
Die Sicherheit von Besitz selbst ist die Illusion. Aber ich verstehe, dass man etwas in der Hand halten will und sich daran erfreuen kann. Bei einigen wenigen Dingen geht mir das genauso. Doch beim Rest genieße ich eher, dass es nichts wiegt und immer flexibel verfügbar ist.
Wie gesagt, das ist wohl wirklich etwas, was vom Charakter abhängt. Ich bin definitiv ein Sammler — in mancherlei Hinsicht sehr zu meinem Leidwesen, weil es mir wirklich schwer fällt, mich von Sachen zu trennen.