Doctor Who | Das Kind in uns

Als ich einmal zu einer zweifachen Mutter sagte, ich hätte gewiss nicht das Talent zur Kinderbuchautorin, weil bei mir sogar Märchenfiguren fluchen, erklärte sie mir sehr sachlich, dass das großer Bullshit sei. Es gäbe schließlich schon genug Bücher über rosa Elefanten, Einhörner und Prinzessinnen, und Autoren täten gut daran, Kinder nicht permanent zu unterschätzen. Dieser Dialog fiel mir wieder ein, als im Laufe der sechsten Staffel von „Doctor Who“ plötzlich Stimmen laut wurden, dass die Serie für eine Kindersendung inzwischen viel zu kompliziert und zu gruselig ist.

Ich bin ein Fan der Neuauflage von „Doctor Who“. Auch wenn man von Altfans deswegen gerne etwas von oben herab behandelt wird, halte ich es für wichtig, darauf hinzuweisen. Ich kann nicht beurteilen, ob die Serie in den Sechzigern einfachere Geschichten erzählt hat oder ob die Aliens in Gummianzügen damals überzeugender gewirkt haben, fest steht aber, dass der Tonfall der Neuauflage von Anfang an eher witzig, bunt und ein bisschen trashig war. Die Geschichten, die erzählt wurden, waren in der Mehrzahl eindeutig auf Kinder zugeschnitten, so dass man als Erwachsener manchmal ein bisschen unterfordert war. (Was irgendwie erklären könnte, warum die ganze Shipperei mit Rose und dem Doctor so aus dem Ruder lief.)

Mit dem Weggang von Russel T. Davies und dem Antritt seines Nachfolgers Steven Moffat begann sich die Serie in vielerlei Hinsicht radikal zu verändern. Viele Drehbücher wirken nun erwachsener und durchdachter, vor allem fällt auf, dass die Serie endlich ihrem Anspruch gerecht wird, eine Serie übers Zeitreisen zu sein. Die Geschichten sind häufig derart in sich verschränkt und haben eine völlig chaotische Chronologie, dass man als Zuschauer schon sehr aufpassen muss, um sie zu verstehen. Vor allem darauf beruht wohl der Vorwurf, dass die Serie für Kinder nicht mehr geeignet sei, denn wenn schon erwachsene Fans Schwierigkeiten haben, dem Plot zu folgen, wie soll es dann Kindern gelingen? Auf der anderen Seite könnte man aber einwenden, dass sich Kinder naturgemäß sowieso nur das aus Filmen, Serien und Büchern herausziehen, was sie anspricht. So lange der Doctor also wie irre durch die Gegend rennt und freche Sprüche klopft, ist es ihnen mehr oder weniger egal, aus welchem Grund er das gerade tut.

Für die erwachsenen Fans hat sich „Doctor Who“ auf diese Weise aber zu einer der derzeit besten Serien auf dem Science-Fiction-Sektor gemausert. Und das auch optisch, was bereits in der fünften Staffel auffiel, mit der sechsten aber schlicht nicht mehr zu übersehen ist. Dabei geht es nicht einmal um die Spezialeffekte, deren Qualität oftmals von der Tagesform der Computerspezialisten abzuhängen scheint und gelegentlich peinlich schlecht ist. Die Bilder aber haben eine ungewohnte Weite bekommen, fast in Kinomanier werden Landschaftspanoramen präsentiert, ungewöhnliche Schnitte vorgenommen und die Kraft der Farben genutzt. Die guten Drehbücher allein hätten bei konventioneller Inszenierung nicht dieselbe Wirkung wie diese Kombination, heute kann man einem Freund nahezu blindlings jede Folge empfehlen, das war früher nicht denkbar.

Doch die Frage bleibt natürlich, ist „Doctor Who“ eine Kinderserie oder ist es Science-Fiction für Erwachsene? Für die Verantwortlichen lautet die Antwort nach wie vor einhellig Kinderserie, aber ist es nicht ein wenig absurd, dass das explizit für Erwachsene konzipierte Spin-off „Torchwood“ so viel uncooler ist? Zweifellos bewegt sich „Doctor Who“ inzwischen hart an der Grenze, und das nicht deswegen, weil Kinder vielleicht nicht verstehen, worum es geht, sondern vielmehr, weil sie es sehr gut verstehen und es womöglich zu ernst nehmen. Eingefleischte Fans werden sagen, mir doch egal, Hauptsache, ich bin glücklich, und ich gebe zu, ich wünsche mir die furzenden Außerirdischen auch nicht gerade zurück. Für die BBC funktioniert „Doctor Who“ aber in erster Linie als Kinderserie, und deshalb wird Steven Moffat aufpassen müssen, wie viel Freiheiten er sich und seinen Autoren noch erlaubt.
Gerade deshalb nimmt eine Folge wie das von Neil Gaiman verfasste „The Doctor’s Wife“ so eine Schlüsselrolle ein. Und zwar gerade, weil die Meinungen dazu weit auseinandergehen, denn selbst jene, die die Folge an sich gut fanden, beanstanden, dass sie eindeutig so geschrieben war, dass sie jedem gefallen muss. Aber genau das ist natürlich der Punkt einer Serie, die Erfolg haben will. Gaiman ist es immerhin gelungen, eine Geschichte zu schreiben, die in ihrer Gänze harmlos genug ist, um sie auch Kindern zu zeigen, die zugleich aber keinen rosafarbenen Zuckerguss hat, sondern durchaus eine düstere und ein bisschen gruselige Realität entwirft. Und ganz nebenbei hat er sogar noch etliche Details in der Story versteckt, die nur Erwachsene oder sogar nur langjährige Fans verstehen. „The Doctor’s Wife“ mag nicht die außergewöhnliche Folge gewesen sein, die sich manch einer erhofft hat, aber sie zeigt, wie „Doctor Who“ aussehen sollte, wenn es eine Familienserie sein soll, die alle Geschmäcker bedient.

Übrigens bin ich mittlerweile der Ansicht, dass ich eine hervorragende Kinderbuchautorin wäre. Und zwar genau, weil meine Märchenfiguren fluchen …