Vor einer Weile tauchte in den Suchbegriffen, die zu meinem Blog geführt haben, einmal die Frage auf, was eigentlich eine Nebenhandlung sei. Ich dachte sofort, na klar, das ist … und dann stutzte ich. Denn eine Nebenhandlung zu erklären, ist gar nicht so einfach. Und das ist natürlich der beste Grund, es einmal zu versuchen.
Das Wichtigste, was man sich in Bezug auf Literatur klarmachen muss, ist, dass sie ganz und gar nicht die Realität widerspiegelt. Um wieder einmal Hitchcock zu zitieren, er sagte sinngemäß, dass Fiktion im Grunde wie das echte Leben ist, nur ohne die langweiligen Passagen. Die langweiligen Passagen, das ist der öde Bürojob, das sind drei Mahlzeiten täglich, acht Stunden Schlaf und so manches nutzlose Gespräch übers Wetter. Also im Grunde genau die Sachen, die das Leben zum Großteil ausmachen. Der Versuch, so etwas wie realistische Literatur zu schreiben, wäre sicherlich ein amüsantes Experiment, würde aber kein lesbares Ergebnis liefern. Denn was so vielen Menschen im wahren Leben fehlt, ist Hauptantriebsfeder von Protagonisten in Büchern: ein Ziel, eine Mission.
Der Duden verrät, eine Nebenhandlung ist eine Handlung, die neben der eigentlichen Handlung herläuft. Eine freilich absurde Definition, denn was macht die eigentliche Handlung zur eigentlichen Handlung? Anderswo las ich, in der Haupthandlung passiert die Action, während es in der Nebenhandlung um Gefühle geht. Damit kommen wir der Sache schon entscheidend näher, die Haupthandlung ist also das, was den Protagonisten geradewegs seinem Ziel entgegenführt, sei es die Rettung der Welt, die Eroberung seiner großen Liebe oder die Lösung eines Kriminalfalls. Dass das nicht ausreicht, um eine lebendige und spannende Geschichte zu schreiben, lernte ich übrigens schon mit zwölf. Mein erster Roman war nach ungefähr vierzig Seiten zu Ende, weil die Protagonisten vierzig Seiten lang ihrem Ziel entgegengestrebt sind, ohne je nach rechts oder links zu schauen. Unnötig zu erwähnen, dass es vierzig todlangweilige Seiten waren.
Nun wäre es verkehrt anzunehmen, wenn man die vermeintliche Haupthandlung ausgemacht hat, müsse alles andere automatisch Nebenhandlung sein. Um bei meinem ersten Roman zu bleiben, ich versuchte ihn zu retten, indem ich eine weitere Handlung hinzufügte, die parallel verlief und einen anderen Blickwinkel auf die Geschehnisse lieferte. Ich nannte es Nebenhandlung, erlag damit aber einem großen Irrtum. Denn es war eigentlich eine zweite Haupthandlung, die eng mit der ersten verflochten war. Im Grunde erzählte ich zwei eigenständige Geschichten, die nur zufällig gut zusammenpassten. Als ich sechs Jahre und fünf Überarbeitungen später kapitulierte, war der Roman zwar immer noch nicht wesentlich besser, doch ohne es zu merken, hatte ich etliche Nebenhandlungen geschrieben. Es waren jene kleinen Szenen, in denen die Protagonisten zu Freunden wurden, an der Mission zweifelten, sich Gedanken über die Zukunft machten.
Dass es so schwer fällt, eine ordentliche Definition von Nebenhandlung zu schreiben, liegt vielleicht auch am Wort selbst. Es wird suggeriert, dass es sich um etwas handelt, was neben der Handlung passiert, quasi parallel. Das englische Wort subplot kommt der Sache deutlich näher, weil es betont, dass es eine untergeordnete Handlung ist, die zur Haupthandlung gehört und nicht ohne sie existieren kann. Tatsächlich müsste man aber ein Wort wie Zwischenhandlung oder Innenhandlung erfinden, denn es geht um etwas, was untrennbar zur Haupthandlung gehört, von ihr abhängig ist, aber selber auch Einfluss auf sie hat. Nehmen wir an, ein Protagonist ermittelt in einem Mordfall, das wäre die Haupthandlung. In der Nebenhandlung verliebt er sich in die Verdächtige. Das hat Einfluss darauf, wie er den Fall zu lösen versucht, wie er zu seiner Mission steht. Eventuell beeinträchtigt es sogar die Haupthandlung, wenn er die Verdächtige aus Liebe deckt. Man möchte fast fragen, wozu trennen wir überhaupt Haupt- und Nebenhandlung, wo doch ohnehin alles ein Wust ist? Für Leser ist es tatsächlich unsinnig, für Autoren allerdings sehr wichtig, wie das Beispiel meines ersten Romans zeigt.
Wer denkt, es sei schwer, eine Nebenhandlung zu definieren, der hat keine Ahnung, wie schwer es ist, eine zu schreiben. Es ist genau das geschilderte Problem: Geht man zu analytisch an die Sache heran, entsteht am Ende nur eine weitere Haupthandlung oder eine Form von Episodenerzählung. Nebenhandlung ist im Grunde das, was beim Schreiben passiert. Eine Art Unfall, weil der Autor unbedingt noch eine kleine Liebesgeschichte einbauen will, oder weil er diese wunderbare Idee für eine witzige Szene hat, die zu etlichen weiteren Szenen führt, die eigentlich nicht wichtig sind. Nur, dass sie eben ganz furchtbar wichtig sind. Die richtige Balance zu finden, macht einen guten Autor aus, und ist letzten Endes Zeugnis langer Übung.
Und nun sind wir doch alle ein bisschen schlauer, oder?
Sehr schön gesagt. Ich wollte auch nicht darauf hinaus, dass man das hochwissenschaftlich angehen soll. Ich mache das inzwischen ja auch intuitiv, aber ich finde es einfach spannend, solche Strukturen auseinander zu nehmen. Zu Schulzeiten fand ich das elends langweilig, heute mach ich das gern.
Ich bin kein Fan von hierarchischer Unterteilung eines Plots, und allgemein nicht von Schreiben nach Maß. Es ist interessant, sich über solche Dinge zu unterhalten, aber um Gotteswillen sollte man nicht versuchen, danach zu schreiben, nach dem Motto: So, jetzt habe ich zehn Seiten Haupthandlung, dann brauche ich so ca. zwei bis vier Seiten Nebenhandlung, damit mein Text gut wird.
Vielleicht braucht man das, wenn man es nicht im Gespür hat, aber ich schreibe immer, ohne mir über sowas Gedanken zu machen, einfach nach Gefühl.
Die Haupthandlung ist wie ein Balkengerüst, welches die Form eines Hauses vorgibt, alles andere ist das Füllmaterial dazwischen. Quasi der Lehm zwischen den Balken eines Fachwerkhauses. Dass das eine nicht ohne das andere auskommt, und kein Haus nur aus Balken oder nur als Lehmfüllung besteht – darüber muss ich nicht nachdenken. Und dass man am besten abwechselnd Balken und Lehm setzt, dass es ein harmonisches Ganzes ergibt, darüber ebensowenig.
Ob ich es gut mache – das liegt im Auge des Betrachters, und dem kann man es auch nicht immer recht machen. Manchen ist es immer zu viel Lehmfüllung, Gefühle, Zweifel, Introspektive, anderen immer zu viel Balken, zu schnell, zu detailarm, zu lieblos.
Da muss man seine eigene Mischung finden, die dann ja auch nicht unerheblich zum eigenen Schreibstil beiträgt.