Ich bin am Machen tun
Vor einer Weile fiel mir eine interessante Neuentwicklung in der Alltagssprache auf. So scheinen immer mehr Leute das Bedürfnis zu verspüren, die Unmittelbarkeit ihrer Aussage zu betonen, indem sie „ich bin am Arbeiten“ anstelle von „ich arbeite“ sagen. Das ist längst kein isoliertes Phänomen mehr, sondern begegnet einem praktisch überall, selbst schon in den Medien. Doch woher kommt diese neue Zeitebene und was bringt sie uns?
Es wird sicherlich niemanden überraschen, dass die Form ihren Ursprung im Englischen hat. Dort gibt es neben dem normalen Präsens eine weitere Gegenwartsform namens „present progressive“ oder „present continuous“, die anzeigt, dass eine Tätigkeit in exakt diesem Moment im Gange ist. Sie wird gebildet durch das normal konjugierte Verb „sein“ und das Tätigkeitsverb in seiner Grundform plus Endung -ing. Kurz gesagt: He is going. = Er geht (in diesem Augenblick). Diese Zeitebene fehlte bisher im Deutschen, doch ob wir sie tatsächlich brauchen, möchte ich ernsthaft bezweifeln. An den englischen Konjugationstabellen sind wir zu Schulzeiten doch alle verzweifelt, warum also nicht dankbar sein dafür, dass wir weniger konjugieren müssen? Zumal das normale Präsens bereits unmittelbar genug ist, denn ob ich nun „arbeite“ oder „am Arbeiten bin“, in beiden Fällen tue ich es gerade jetzt, für alles andere gibt es Vergangenheit oder Zukunft.
Doch halt, haben wir uns wirklich eine neue Konjugationsreihe aufgehalst? Auch wenn es auf den ersten Blick so ausschauen mag, die Antwort lautet klar nein. Denn betrachten wir die neue Verbform, stellen wir fest, von Konjugation kann hier gar keine Rede sein! Wie im Englischen wird sie gebildet durch eine konjugierte Form des Verbs „sein“, das gewünschte Tätigkeitsverb in seiner Grundform, verbunden durch ein schlichtes „am“. Das heißt im Klartext, wir haben keine Verbform gewonnen, wir haben eine verloren, nämlich das Präsens, das bei jedem Verb unterschiedlich zu bilden ist und viele Ausnahmen hat.
Bei der deutschen Version des „present progressive“ handelt es sich um nichts anderes als eine Variante des holprigen „machen tun“, das sofort die Spracharmut eines Menschen enthüllt. Mir könnte beides nicht mal aus Versehen rausrutschen, aber wie tut ihr dazu stehen? Seid ihr noch am Nachdenken oder quakt ihr schon?
Hm. Ja, stimmt.
Obwohl ich das durchaus abwäge, wenn ich zum Beispiel schreibe ‚ich bin am lesen‘. Meinentwegen, vielleicht habe ich da ja einen schalkischen Hintergedanken?🤭
Aber wer weis das schon…?