Die Welt braucht nicht noch eine „Sherlock Holmes“-Verfilmung. Das werden sich auch die Macher von „Elementary“ gedacht haben, denn die Protagonisten könnten genauso gut auch Wolmes und Hatson heißen, es wäre trotzdem eine unterhaltsame Krimiserie. Spoiler!
Sherlock Holmes, verwöhnter Sohn eines reichen Geschäftsmannes, kommt gerade aus dem Drogenentzug, da wird ihm von seinem Vater die Aufpasserin Joan Watson aufgehalst. Da er nicht vorhat, wieder Drogen zu nehmen, rät er ihr, die nächsten Wochen einfach Urlaub zu machen, er werde es auch niemandem sagen. Doch so leicht lässt sich Watson nicht abschütteln, sie begleitet ihn bei den Ermittlungen zu einem Mordfall, bei dem er echtes Genie beweist, wenn auch wenig Rücksicht auf die Gefühle anderer.
„Elementary“ hat Schwächen, darüber brauchen wir nicht sprechen, vor allem im Angesicht der berühmten Vorlage und der mehr als brillanten BBC-Serie, die der Grund dafür ist, warum ich diesen erneuten Aufguss ursprünglich boykottieren wollte. Doch frecher Tonfall, flottes Tempo und zwei gut miteinander harmonierende Hauptdarsteller sorgen dafür, dass die Pilotfolge wie im Flug vergeht und niemals der Vergleich zu anderen Verfilmungen herausgefordert wird. Der Kriminalfall selbst ist nicht besonders ausgeklügelt, doch da hier ohnehin die Figuren im Vordergrund stehen, tut das dem Vergnügen keinen Abbruch.
Wie gesagt, alle Befürchtungen, „Elementary“ könnte sich als mehr oder weniger offenes Plagiat von „Sherlock“ erweisen, waren unbegründet. Das ist auf der einen Seite erfreulich, andererseits führt es dazu, dass die Figuren ein bisschen austauschbar scheinen, vor allem, da man Watson mit einer Frau besetzt hat, was natürlich die Dynamik des Duos komplett verändern muss. (Obwohl ich aus meiner Fehleinschätzung bei „Battlestar Galactica“ gelernt habe und deshalb nicht vorschnell urteilen will.) Es war tatsächlich die Wahl der Schauspieler, die mich ein bisschen neugierig gemacht hat, und die letztendlich auch dafür verantwortlich ist, dass ich meinen Spaß an der Folge hatte.
Jonny Lee Miller trifft seinen Sherlock Holmes irgendwo in der Mitte zwischen Benedict Cumberbatch und Robert Downey Jr., er ist genial und schroff, aber nicht gefühlskalt (sein Wutausbruch am Auto des Verdächtigen war … interessant und offenbar typisch für den Charakter), er ist physisch (man beachte die vielen Tattoos), aber kein Actionheld. Mir persönlich tat es ein wenig leid, dass man sein anfängliches „Sex ist abstoßend“, was bei „Sherlock“ immer angedeutet, aber niemals offen angesprochen wurde, gegen Ende schon wieder entkräftet hat, mir hätte der Ansatz gefallen. Zwar behaupten die Produzenten, dass keine Liebesbeziehung zwischen Sherlock und Watson geplant ist, doch wir wissen alle, wie schnell sich so etwas verselbstständigt.
Was mich zu Watson und Lucy Liu bringt. Vermutlich hätte mich keine andere Schauspielerin in der Rolle annähernd so gereizt wie sie, und vorerst finde ich ihre Interpretation angenehm, wenn auch ein bisschen zu zurückhaltend. Sie hatte Sherlock in der Folge wenig entgegenzusetzen, und dass er aus Rücksicht auf ihre Gefühle eine falsche Schlussfolgerung über ihre Vergangenheit zieht, spricht irgendwie Bände. Das Miteinander funktioniert, aber genau das könnte zum Problem werden, denn allzu harmonisch darf es nicht sein.
Aussichtslose Notizen. Die „Liebe auf den ersten Blick“-Rede ganz zu Beginn war großartig, weil sie allen Kritikern sogleich den Wind aus den Segeln nimmt – wenn man sich denn treu bleibt. Sherlock denkt, Watson wird die Wohnung putzen, aha. Außerdem stellt er sie als seine Kammerdienerin vor, was ich ausgesprochen lustig fand. Mir gefiel, dass seine Beobachtungen allesamt nachvollziehbar waren, wohl auch, weil er dabei nicht so elends schnell spricht wie Cumberbatch. Sherlock züchtet Bienen und schreibt ein Buch drüber. Wer sich zwei Wecker stellt, für den ist der Job eine Last (scheiße, das kenn ich). Watson kombiniert, dass Sherlock keinen Spiegel besitzt, weil er einen aussichtslosen Fall erkennt, wenn er ihn sieht. Ein Sack Reis und eine umgekippte Waschmaschine … also, ich musste lachen.
4 ½ von 5 Bananen, die das Geschlecht gewechselt haben.
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Ach, das wollten die? Ich dachte, das wäre Zufall, so wie beim Kinofilm "Avatar" und "Die Legende von Aang", die ja eigentlich auch "Avatar" heißen sollte.
Na dann müssen sie sich den Vergleich gefallen lassen.
Das ist nicht unglücklich, sondern volle Absicht! Die wollten ja auf der "Welle" mitschwimmen, ursprünglich wollten sie sogar ein Rekame der BBC-Serie machen, das wollten die aber nicht.
Und Sherman Hobbes? Großartig, für mich heißt Miller ab heute Sherman Hobbes, so! 😀
Ja, ich glaube, das Hauptproblem ist, "Elementary" losgelöst von der BBC-Serie zu betrachten. Zum einen ist es unfair, weil "Sherlock" sehr viel näher am Original ist – was "Elementary" ja gar nicht versucht, und zum anderen ist es einfach unglücklich, dass die Serien so bald nacheinander ausgestrahlt wurden.
Ich vergleiche Miller natürlich sofort mit Cumberbatch – wer tut das nicht? – aber da kann er eigentlich nur verlieren.
Man muss sich echt zwingen, da keinen Vergleich zu ziehen und "Elementary" als eigenständige Serie zu betrachten.
Vielleicht hätten sie aus Sherlock Holmes Sherman Hobbes machen sollen, damit man nicht ständig die Vorlage und die geniale Umsetzung der BBC im Kopf hängen hat…
Wow, mit der Länge Deines Kommentars machst Du glatt meiner Review Konkurrenz! 😉
Nach wie vor glaube ich ja, für die Rezeption der verschiedenen Verfilmungen ist es ein echter Vorteil, dass ich Doyle nie gelesen habe. (Obwohl ich es schon lange vorhabe und jetzt nur noch eine gute Gesamtausgabe suche.) Deshalb kann ich zur Körperwahrnehmung nichts sagen, finde Deine Erklärung aber sehr schlüssig. Ich bin gespannt, ob sie darauf mal noch eingehen, generell auf seine Vergangenheit, ich hab da ja nichts gegen ein paar originelle eigene Ideen, wo die Serie eh schon wenig mit der Vorlage gemein hat.
Von Watson erwarte ich künftig auch mehr, eben weil Lucy Liu, und ansonsten warte ich einfach mal ab, wie sich die Sache entwickelt. Man liest sich hier …
Ha, endlich mal eine Serie, bei der ich mitreden kann, zumindest noch. Nach der ersten Folge weiß ich nicht so recht, ob ich weitergucken soll oder nicht.
Dass Watson eine Frau ist, gefällt mir eigentlich, obwohl sie relativ passiv ist und zu zerbrechlich wirkt. Sherlock könnte – selbst wenn er es in dieser Serie hätte – sein Arschloch-Verhalten gar nicht recht ausspielen, weil man unweigerlich Angst davor hat, dass Watson dann in Tränen ausbricht. Etwas Handfesteres wäre besser gewesen, etwas Solides wie Watson aus der BBC-Serie, nur in weiblich.
Sherlock selbst hat mir nicht besonders zugesagt. Der Holmes von Miller ist nichtmal ansatzweise so clever-genial wie Cumberbatch als Holmes, immerhin muss Watson das entscheidende Indiz finden.
Ich fand es zudem sehr un-Holmes-ig, dass er Watson gleich in der ersten Folge zu Bleiben bittet, als sie ihren Job an den Nagel hängen will. Es wäre mehr charakterkonform gewesen, wenn er einfach angenommen hätte, dass sie bleibt, weil ihm gar nicht in den Sinn kommt, dass sie gehen wollen würde.
Aber am wenigsten gefallen haben mir die Tätowierungen. Irgendwie weisen sie auf eine Körperwahrnehmung hin, die ich dem originalen Holmes abspreche. Der ist doch so verkopft, dass er sich niemals Gedanken um ein buntes Bildchen auf seiner Haut, wo es hinsoll und wie es da wirken wird, machen würde.
Mal ehrlich, Tattoos haben zudem ein Symbol, das wichtig ist für den Träger, und etwas Besonderes ausdrücken soll.
Ich glaube, für Sherlock gibt es nichts, dessen Wichtigkeit sich in einem bloßen Icon oder einem Schriftzug widerspiegelt. Er hat sowas alles im Kopf, er braucht das nicht auf der Haut. Er ist dafür weder zu körperlich-narzisstisch, noch verletzt, noch verspielt oder "esoterisch" genug.
Ich würde der Serie zu Anfang mal 5 von 10 Detektivhüten geben, und vermutlich wird die nächste Folge über mein weitergucken oder wegschalten entscheiden.
Dazu muss noch ein etwas spannenderer Fall kommen, der jetzige war streckenweise echt langweilig.
Oh, und noch was: Ich habe auch zwei Wecker, aber ich mag meinen Job sehr. Dummerweise mag ich mein Bett aber genauso, vor allem, wenn das Schlafzimmer drumherum verflucht kalt ist. Die Schlussfolgerung weise ich also entschieden von mir. 😉
Na ja, das war ein spontaner Entschluss, weil ich die erste Folge nun doch besser fand, als ich erwartet hatte. Momentan lebt das für mich vor allem durch die guten Darsteller, der Rest muss sich zeigen. 🙂
Schön, dass du die Serie reviewst. Ich hab sie auch auf dem Schirm und muss bislang sagen, dass sie sehr solide ist, aber mit Sherlock Holmes eigentlich kaum etwas zu tun hat. Natürlich werden hier und da Versatzstücke präsentiert, aber das sind vornehmlich Namen, die dadurch irgendwie an Spannung verlieren, weil man weiß in welchem Beziehungsverhältnis sie dadurch zu den Charakteren stehen (je nachdem wie weit du bist, wird irgendwann der Name "Irene" fallen – aber wir wissen durch Doyles Geschichten bereits zu viel).
Leider ist es ein übliches "Crime of the Week"-Schema bei der Serie, auch wenn ich hoffe, dass das noch aufgebrochen wird!