Anthony Hopkins‘ Darstellung des ebenso intelligenten wie charismatischen Kannibalen Hannibal Lecter gehört zu den ganz großen Kinomomenten. Bryan Fuller setzt in seiner neuen Serie „Hannibal“ noch einen drauf, indem er Lecter zum Helden der Geschichte macht, zu einer Figur, die inmitten kaputter Charaktere geradezu normal wirkt.
Gewalt ist im Fernsehen schon längst kein Tabuthema mehr. Im Gegenteil, in praktisch jeder Krimiserie werden am laufenden Band Leute brutalst verprügelt oder kaltblütig ermordet. Normalerweise wird dabei gleichzeitig eine Barriere für den Zuschauer errichtet, indem die Täter als böse, gar als kranke Personen charakterisiert werden, die man ruhigen Gewissens hassen darf. Erst in den letzten Jahren gab es immer wieder Versuche, Mörder als Sympathieträger zu etablieren, an prominenter Stelle sei hier die überaus erfolgreiche Serie „Dexter“ erwähnt, aber selbst eine Serie wie „Game of Thrones“ verwischt gekonnt die Linien zwischen Gut und Böse.
Aus dieser Sicht erfindet „Hannibal“ das Genre sicherlich nicht neu, interessant ist vielmehr, wie die Figuren im Umfeld Hannibal Lecters gezeichnet werden. Will Graham, der als rechtschaffener FBI-Agent theoretisch als Identifikationsfigur für den Zuschauer fungieren müsste, verweigert sich diesem Anliegen konsequent. Durch eine psychologische Störung ist er zwar in der Lage, sich in Mörder buchstäblich hineinzuversetzen, um Tathergang und Motivation zu rekonstruieren, doch was ihn zum Genie macht, macht ihn gleichermaßen auch zu einem Wrack. Mit Fortschreiten der Serienhandlung wird es für Will zunehmend schwerer, zwischen Realität und Halluzination zu unterscheiden, er schlafwandelt und erlebt Blackouts. Psychologe Hannibal Lecter wird zu einem Mentor für Will, der ihm hilft, das Gesehene zu verstehen und zu deuten, und genau hier passiert etwas für den Zuschauer absolut Ungewohntes. Obgleich wir früh erfahren, dass Hannibal selbst ein Serienmörder ist, der zudem die Organe seiner Opfer kunstvoll zubereitet und verspeist, empfinden wir ihn als den geistig Gesünderen in dieser Beziehung. Er ist gewiss keine sympathische Figur, sein Auftreten wirkt oftmals arrogant, seine Miene bleibt undurchschaubar, aber da er kein Triebtäter ist und rational agiert, wirkt sein Handeln geradezu vernünftig. Ja, er isst Menschen, er serviert sie sogar seinen Gästen, aber er tut es mit Hingabe. Es kursiert im Internet bereits dieser Witz, dass es den Leuten im Nachhinein vielleicht sogar egal sein wird, was sie da gegessen haben. Einfach weil’s lecker war.
Doch „Hannibal“ wäre keine Serie von Bryan Fuller, wenn sie sich nicht auch in ihrer Bildsprache von anderen unterscheiden würde. Denn was ganz außerordentlich erstaunt, ist nicht etwa die Menge an Blut und abgetrennten Körperteilen, die man in aller Ausführlichkeit und in schwelgerischen Nahaufnahmen zu sehen bekommt, sondern die Art und Weise, wie die Gewaltverbrechen in Szene gesetzt werden. Das ist kein vordergründiger Gore, wie er häufig in drittklassigen Splatterfilmen vorkommt, das ist tatsächlich Kunst. Will Grahams üblicher Satz „this is my design“, wenn er die Tat rekonstruiert, ist mehr oder weniger das Credo der Serie, denn diese Mörder gehen sorgsam vor, überlegt, sie töten nicht einfach nur, sie möchten etwas damit aussagen. Ob sie nun einen Totempfahl aus Leichen unterschiedlichen Verwesungsgrads errichten oder Menschen lebendig begraben, wo sie als Nährboden für Pilze dienen, all diesen Verbrechen wohnt eine Ästhetik inne, der man sich als Zuschauer nicht entziehen kann. Zumal die Kameraführung unmissverständlich klarmacht, dass genau das gewollt ist.
Wer nun denkt, dass er sich „Hannibal“ allein um der blutigen Szenen willen ansehen kann, wird allerdings ziemlich sicher enttäuscht sein. Denn obwohl die einen großen Teil der Serie ausmachen, handelt es sich letzten Endes doch um ein psychologisch hoch anspruchsvolles Drama, das mit Farbstimmungen spielt, einen sehr hintergründigen Humor verwendet und auch mal auf intensive Dialoge setzt. Im Grunde geht es nämlich gar nicht um die Gewalttaten, sondern darum, wie unterschiedlich Menschen darauf reagieren. Und es geht um die Freundschaft zwischen Hannibal und Will, über der von vornherein das Damoklesschwert hängt. Da sich NBC nach langem Zögern dann doch dazu entschlossen hat, der Serie trotz durchwachsener Quoten eine zweite Staffel zu geben, dürfen wir gespannt sein, wie sich die Geschichte weiterentwickelt. Und wie Bryan Fuller sein Versprechen einlösen wird, noch mehr Schauspieler aus seinen alten Serien unterzubringen.