Eine der wichtigsten Entscheidungen, die man als Autor treffen muss, bevor man eine Geschichte überhaupt anfängt, ist die Erzählperspektive. Sie ist nicht einfach nur ein Stilmittel, sondern legt bereits vom ersten Satz an fest, wie man den Leser binden will. Sie ist es, die Tonfall und Tiefe der Geschichte bestimmt, deshalb sollte man diese Entscheidung niemals überstürzen.
Ich gebe zu, ich bin eine glühende Anhängerin des auktorialen Erzählers. Da ich gerne umfassend über meine Figuren schreibe, bietet sich diese Perspektive meistens von selbst an. Sie erlaubt es mir, ganz nach Belieben den Schwerpunkt zu wechseln, mal den Fokus auf die eine Figur zu legen, mal auf eine andere, und in besonders intensiven Szenen beide Seiten aufeinanderprallen zu lassen.
Es ist allerdings nicht zu leugnen, dass ich damit den einfachsten Weg gehe. Wann immer ich eine Geschichte aus der Ich-Perspektive begonnen habe, habe ich sie nach ein paar Seiten doch umgeschrieben, weil ich merkte, dass mir diese eine Sichtweise einfach nicht ausreicht. Dass ich die Gedanken- und Gefühlswelt von mehr als nur einer Figur ergründen möchte.
Bei „Nocturnal“ stehe ich vor genau dem entgegengesetzten Problem, denn Annas Geheimnis muss sowohl Christopher als auch dem Leser für eine Weile vorborgen bleiben. Die erste Fassung schrieb ich folglich in der Ich-Perspektive, die zweite mit einem personalen Erzähler, die dritte wieder als Ich-Erzähler. Ich bin hin und her gerissen, welches die beste Lösung ist, denn mit der Ich-Perspektive würde ich mich gleichzeitig auf Christophers Tonfall festlegen. Andererseits könnte genau auch das den Reiz ausmachen …
Wer weiß, eines Tages kommt vielleicht die eine Geschichte, die nicht anders zu erzählen ist. 🙂
Na, dann bleib doch bei deinen Leisten, bzw. im Erzählstil, der dir besser liegt. Dann kannst du dort auch virtuoser agieren, als wenn du mit einem ungewohnten Stil zu kämpfen hast.
Ich glaube, eine Geschichte zeigt einem schnell, wie sie geschrieben werden will. Und wenn du schon erfolglos mehrere Ich-PoVs ausprobiert hast, ist es wohl einfach kein gutes Zeichen.
Lustigerweise hab ich genau das bei meinem zweiten Roman gemacht, und das war immer dann besonders spannend, wenn sich Teile überschnitten haben, ich also erst die eine und dann die andere Seite gezeigt hab. Und siehe da, schon sind wir wieder bei den Vorteilen eines auktorialen Erzählers. Hach, mich bekehrt wohl keiner mehr … 😛
Letztendlich weiß ich das. Ich denke, mein Problem ist, dass ich mich bei mehreren Figuren am Anfang festlegen muss, aus wessen Sicht ich denn schreibe. Und ich hab einfach einen Horror davor, in der Mitte festzustellen, dass ich den Falschen ausgewählt hab.
Ich schreibe in letzter Zeit ausschließlich Ich-Perspektive und liebe es, aus von Herrn Allner genannten Gründen. Ich kann mir für meinen Schreibstil gar nichts anderes mehr vorstellen.
Aber misch das doch kapitelweise, wenn du dich nicht entscheiden kannst. Wäre doch mal was anderes. 😉
Für mich stellte der Ich-Erzähler in letzter Zeit viele Vorteile heraus. Das Begrenzen auf eine Figurenperspektive lässt den Leser nicht alles erfahren, komprimiert die Handlung und erlaubt eine fast schon dialogischen Erzählweise. In meinem Kurzroman Bajonettbrüste habe ich dies häufiger angewandt, indem der Ich-Erzähler sarkastische Kommentare abgibt, die von den anderen Figuren natürlich nicht gehört werden und auf jene sie anders reagieren.
Will sagen: Es kann viel Spaß machen, einen Ich-Erzähler zu schreiben. 🙂