„Ist alles in Ordnung? Du bist so still.“
„Ich denke gerade über Giftmord nach.“
Wir Autoren sind seltsame Zeitgenossen. Wir können ein ganzes Wochenende damit verbringen, Krankheiten zu recherchieren, die früher als Vampirismus missgedeutet wurden, haben zwei Dutzend Lesezeichen im Browser zu Seiten über Psychologie, die Bedeutung von Namen und die Charakteristika einzelner Sternzeichen, und manchmal starren wir auch einfach Löcher in die Luft, während wir im Kopfkino gerade eine dramatische Szene durchspielen.
Neben vielen anderen Eigenschaften, die einen guten Autoren ausmachen, halte ich Aufmerksamkeit für essentiell. Auch wenn das jetzt ein bisschen irre klingt, aber viele Stationen meines Lebens erlebe ich wie in der dritten Person, als Beobachter, der sich wichtige Dinge herauspickt, um sie später zu verwenden. (Im Grunde sind wir Autoren sowieso alle Exhibitionisten, die völlig Fremden ihre tiefsten Gefühle vor die Füße kotzen.) Aber auch viele Erlebnisse des Alltags nehme ich intensiver wahr als andere. Ich weiß, wie die Luft riecht, kurz bevor es zu regnen anfängt, ich kenne das Geräusch eines heftigen Windstoßes und das Gefühl eines Kiesels, den ich vor mir her kicke. Im Zweifelsfall könnte ich all das auch irgendwie in Worte fassen. Und wenn ich jeden Morgen ein Eichhörnchen über die Straße hüpfen sehe, bis es eines Morgens tot am Straßenrand liegt, dann brennt sich mir das ins Gedächtnis, während andere nur mit den Achseln zucken und weitergehen.
Dennoch muss ich mit einem Vorurteil aufräumen, das immer noch viele meiner Freunde umtreibt. Es mag sein, dass einzelne Elemente von dem, was sie mir erzählen oder was ich mit ihnen zusammen erlebe, in eine meiner Geschichten einfließt, doch es wird niemals eins zu eins sein. Ich habe kein geheimes Notizbuch, in das ich Dinge hineinschreibe, die andere mir erzählen. Wenn überhaupt, dann notiere ich unnützes Wissen, einzelne Wörter, die mich inspirieren, vielleicht mal einen kurzen Dialog. Eigentlich finde ich diese Angst sogar ziemlich amüsant, denn wir Autoren sind viel zu sehr Narzissten, um über etwas anderes schreiben zu wollen als über uns selbst.
P.S. Hach, ich könnte stundenlang übers Schreiben tratschen. Ist es nicht spannend, wie unterschiedlich man ein und dieselbe Sache sehen und angehen kann?
Naja, ich hab mich ein wenig an dem Satz "Autoren schreiben am liebsten über sich selbst" gestört. (Und aus demselben Grund auch an dem mit dem Exhibitionismus.) Klar fließt immer etwas vom Autor in die Figuren, er entscheidet ja, wie sie sich zu entscheiden, zu agieren und reagieren haben.
Aber ich glaube, die Haupteigenschaft eines guten Autors ist – neben dem Beobachten – auch das Hineinversetzen. So fremd ein Charakter ihm selbst auch sein mag, er muss sich an seine Stelle versetzen und an seiner statt glaubhaft agieren.
Insofern, so sehe ich es, schreiben Autoren am liebsten über *andere*.
Darüber hinaus, was ist spannender, als Charaktere zu kreieren und Gefühle auszuloten, die einem selbst fremd sind? Das ist doch wie das Erschaffen einer neuen Welt, und das glaubhaft rüberzubringen, ist meiner Meinung nach gerade die Kunst des (Fantasy-)Schreibens.
Wie, du kennst keine Elfen?? 😛
Oi. Da war die Hand wieder schneller als das Gehirn … sofort ausgebessert.
Und um den Satz zu erklären. Ich schreibe natürlich auch nicht über mich oder meine Erlebnisse. (Oh, Moment, Du dachtest, ich kenne tatsächlich Elfen, die Verbrechen aufklären?) Vielmehr denke ich, dass jeder Mensch sich selbst natürlich am allerbesten kennt und deshalb immer ein Teil davon in die Figuren miteinfließt. Manches vielleicht bewusst, anderes so subtil, dass dann erst andere feststellen müssen, hey, die ist ja wie Du!
Den letzten Satz muss ich in zweierlei Hinsicht korrigieren: Erstens, psst, Narzissten mit Doppel-s. 😛
Und zweitens, au contraire, ich schreibe grundsätzlich nicht über mich selbst und auch fast nie über Persönliches. Es fühlte sich bei den paar Malen, an denen ich es getan habe, auch irgendwie falsch an. Ich will eigentlich nur eine Geschichte erzählen, dabei trete ich als Erzähler in den Hintergrund.
Auf die berühmte Frage, wie viel von mir in meinen Figuren steckt, müsste ich wohl antworten: "Vielleicht 3-5%". Ich sehe mich eher als Biograf meiner Figuren denn als verdeckter Autobiograf osä. Dafür wäre ich wohl auch viel zu uninteressant, denke ich.