ZSSD | Review: Kingdom Come: Deliverance

„Hey! Henry’s come to see us!“

Worum geht es?

Das Königreich Böhmen, 1403. Henry, der Sohn des Schmieds, lebt im beschaulichen Dorf Skalitz und verbringt seinen Alltag mit kleinen Aufgaben für seinen Vater, gelegentlichen Kneipenschlägereien mit seinen Freunden oder der zarten Romanze mit der Schankwirtin Bianca. Die Welt könnte so schön sein, wäre da nicht das mysteriöse Heer, das eines Tages das Dorf dem Erdboden gleichmacht und viele Bewohner niedermetzelt. Henry, der den Tod seiner Eltern mitansehen muss, kann jedoch fliehen und erreicht mit knapper Müh’ und Not die Burg des benachbarten Dorfes.
Der Herr über Skalitz, Herr Radzig von Kobyla, kann eine kleine Anzahl Bürger seiner Stadt vor den Soldaten und nachfolgenden Plünderern retten und in die größere Siedlung Rattay führen. Auch Henry wird dorthin beordert, und da er nun alles verloren hat, nimmt ihn Herr Radzig erst einmal in seine Gefolgschaft auf. Natürlich möchten beide irgendwann Widergutmachung für den Verlust von Dorf und Eltern, doch sofort gegen ein ganzes Heer vorzugehen, ist für den Moment ein Ding der Unmöglichkeit.
Da ihm erst einmal die Hände gebunden sind, kümmert sich Henry unter den Fittichen von Herrn Radzig stattdessen um seine Schwertkampfausbildung, übernimmt die Ermittlungsarbeit in einem Mordfall, begibt sich für eine Mission längere Zeit undercover als Novize in ein Kloster und räumt in den umliegenden Wäldern unter Plünderern und feindlichen, ungarischen Raubrittern auf. Nebenher vertieft er seine romantische Beziehung zu seiner Jugendfreundin Theresa und lernt Reiten, Bogenschießen und Würfelspiel.
Bis er eine Entdeckung macht, die sein Leben gehörig auf den Kopf stellt.

Wie ist es?

Kingdom Come: Deliverance, das 2018 von Warhorse Studios entwickelt wurde, sollte mir eigentlich nicht so wirklich gefallen. Man spielt in First Person, sieht also durch die Augen des Protagonisten Henry (in der deutschen Version Heinrich genannt). Wer meine Beiträge verfolgt hat, weiß, dass ich diese Perspektive in Spielen nicht mag, weil es die so spielbaren Charaktere, wie ich finde, nicht wirklich zugänglich macht, wenn man den Gesichtsausdruck nicht erkennen kann. Ich sehe meiner Figur einfach lieber zu, als so zu tun, als wäre ich selbst sie.
Doch, und das macht Kingdom Come: Deliverance richtig, sieht man Henry in jeder Zwischensequenz und bei jedem Dialog, was mehr als genug Möglichkeiten bietet, den Charakter kennen und mögen zu lernen.
Henry, dem Tom McKay Stimme*) und Aussehen leiht, ist ein sympathischer Kerl. Nach außen hin ein bisschen einfach gestrickt, hat er jedoch einen klugen Kopf auf den Schultern. Man folgt ihm gern auf seiner Heldenreise, auch wenn der Schwertkampf in First Person zu Beginn irre schwer ist und die Gegner unbarmherzig auf ihn einschlagen. Warhorse Studios legt dabei großen Wert auf Authentizität, man kann das Schwert, den Knüppel oder die Axt aus verschiedenen Richtungen schwingen – was aber erst einmal trainiert werden will. Die Gegner haben keinen Lebensbalken über ihren Köpfen, sondern bekommen nach und nach immer mehr Wunden, keuchen oder werden langsamer. Das erhöht die Immersion deutlich.
Dazu kommen die tolle Grafik und die historischen Orte, die bis heute im realen Tschechien zu finden sind. Alles in allem macht Kingdom Come: Deliverance großen Spaß, wobei ich zugeben muss, dass es mit dem zweiten Spieldurchlauf etwas leichter wird, den teilweise recht kargen Hinweisen des Spiels auf die nächsten Missionspunkte zu folgen. Beim ersten Mal habe ich mich doch manchmal etwas verloren gefühlt und wusste nicht, wohin oder was tun.
An anderer Stelle, vor allem in der oben erwähnten Klostermission, muss Henry einen Verdächtigen überführen, indem er als Novize ins Kloster geht. Bis man genug Hinweise gesammelt hat und zwischen Gebetsstunden, den Arbeiten für die Mönche und den darauf folgenden, weiteren Gebetsstunden und der Abendvesper nicht genug Zeit hatte, mit den anderen Novizen zu sprechen, so lange bleibt man im Kloster. Weicht man von dem eng getakteten Terminplan des Klosters ab, wird man bestraft und sitzt weitere Stunden in einer Zelle. Das Spiel ist dabei erbarmungslos, und ich gebe zu, dass ich irgendwann einfach im Internet nachgeguckt habe, wo die Lösung zu finden ist, um nicht noch einen Tag zwischen Beten, Arbeiten und Essen verbringen zu müssen. Kann Henry am Ende endlich mit dem entscheidenden Beweis aus dem Kloster entkommen, fühlt man sich als Spieler ebenso erleichtert, endlich wieder „frische Luft atmen“ zu können. Insofern: Immersion top, aber manchmal recht frustrierend.

Was kommt danach?

Vor wenigen Tagen wurde der zweite Teil aus heiterem Himmel angekündigt, und soll noch dieses Jahr erscheinen! Er schließt nahtlos an den ersten an, und dem Trailer nach zu urteilen, hat Henry da ein wenig mehr Fleisch auf den Rippen und scheint sich zu einem gestandenen Ritter gemausert zu haben. Wie im ersten Teil scheint es auch jetzt wieder Chancen für Romanzen geben (obwohl unser Henry im ersten Teil seiner Theresa bereits zugesichert hatte, dass sie die einzige für ihn sei …). Und das oft erwähnte Kuttenberg wird endlich zu sehen sein und es soll eine im Vergleich zu den Siedlungen des Vorgängers eine geradezu gewaltige Stadt werden.
Die zu erkunden, Henrys Geschichte als Ritter und alle im ersten Teil nicht beendeten Handlungsstränge zu verfolgen, dabei ungelöste Rätsel zu lösen und weitere aufzutun – darauf freue ich mich total. Warhorse Studios haben angekündigt, dass Teil Zwei endlich so aussehen soll, wie sie es sich schon für Teil Eins gewünscht hatten, damals aber aus Budgetgründen noch nicht umsetzen konnten. Ich bin gespannt, wie das sein wird, und hoffe, Henrys etwas nerdiger Charme und die spannenden, historisch ins fünfzehnte Jahrhundert eingebetteten Handlungsstränge bleiben uns erhalten.


*) Das Spiel ist vollständig auf Deutsch verfügbar und wurde auch mit hochkarätiger Besetzung vertont, jedoch mochte ich Tom McKays Stimme so gern, dass ich beide Male die englische Originalversion gespielt habe.