Bücherstapel | Robert Charles Wilson „Vortex“

„Irgendwie kommt mir die Zukunft ziemlich beschissen vor.“

Ein Tagebuch aus der Zukunft

Polizist Jefferson Bose greift den obdachlosen Orrin Mather auf und übergibt ihn der staatlichen Fürsorge. Sandra Cole, die Orrins geistige Verfassung einschätzen soll, merkt schnell, dass Bose ein persönliches Interesse an dem jungen Mann hat. Er überreicht ihr Abschriften von Notizheften, die Orrin bei sich trug, und die die Lebensgeschichte eines Mannes namens Turk Findley enthalten.
Zehntausend Jahre später verlässt eben jener Turk Findley den temporalen Torbogen auf Äquatoria und wird dort bereits erwartet. Eine Art natürlich gewachsenes Generationenschiff namens Vox durchquert seit Jahrhunderten die Torbogen, um zur inzwischen unbewohnbaren Erde zurückzukehren. Die Bewohner sind über ein Netzwerk in einer „limbischen Demokratie“ miteinander verbunden und glauben, dass auf der Erde endlich der langersehnte Kontakt zwischen Menschen und Hypothetischen stattfinden wird.

„Sie dachten, sie würden hier auf der Erde mit den Hypothetischen eins werden. Eine rein religiöse Vorstellung. Die Menschen, die Vox gegründet haben, waren ausgesprochene Fanatiker. In den Geschichtsbüchern steht es anders, aber so war es. Vox ist ein Kult. Die Glaubenssätze wurden tief im Netzwerk verankert. Ist man Teil des Netzwerks, kommt einem das völlig plausibel vor – so plausibel wie das, was einem der gesunde Menschenverstand sagt.“

Eine ferne Zukunft, zu der jeglicher Bezug fehlt

Muss man „Vortex“ von Robert Charles Wilson gelesen haben? Sicher nicht. Dem Roman gelingt zwar ein halbwegs befriedigender Abschluss seiner „Spin“-Trilogie, doch er liefert keine Antworten, die wir nicht schon am Ende des ersten Bandes hatten. Die menschliche Zivilisation, die wir hier erleben, hat nichts mehr mit uns zu tun, ihr Streben bleibt in letzter Konsequenz unverständlich. Das liest sich immerhin flüssiger als der Vorgänger „Axis“, schafft aber in Bezug auf die Spin-Idee keinen Mehrwert.
Ich will es Wilson nicht zum Vorwurf machen, dass er einen ambitionierten Ansatz verfolgt, immerhin ist das genau das, was gute Science-Fiction ausmacht. Für meinen Geschmack schießt er mit einem Zeitsprung von zehntausend Jahren aber über das Ziel hinaus. Wir erfahren, dass sich die Menschheit über den sogenannten Weltenring verteilt hat, also auf den verschiedenen Welten, die durch Ringe miteinander verbunden sind, und dass sich verschiedene transhumanistische Regierungsformen herausgebildet haben, die übrigens allesamt den Beigeschmack von Diktatur haben. Das Problem ist, dass der Mittelteil komplett ausgelassen wird. Wie es dazu kam, erfahren wir nur durch vereinzelte Informationshappen, jedoch nie in seiner Gänze.
Am Ende fehlte mir dadurch vor allem das Verständnis für die Lebensweise der Bewohner von Vox. Gerade das wäre essenziell für den Plot um Treya/Allison gewesen, die nach der gewaltsamen Entfernung ihres Netzwerkknotens plötzlich Individualität entwickelt und sich gegen das System auflehnt. Die limbische Demokratie wird mir nie schmackhaft gemacht, entsprechend wirkt Allisons Ablehnung zu selbstverständlich und nicht wie ein großer Kampf.
Bei der Rahmenhandlung wiederum hängt man bis zum Schluss in den Seilen, weil abgesehen von Orrins Notizheften keinerlei Verbindung zu den Geschehnissen in der Zukunft erkennbar ist. Schlimmer noch, die Details der in den Heften geschilderten Vergangenheit widersprechen der tatsächlich stattfindenden Handlung. Das hat am Ende zwar alles seine Bewandtnis, aber die Gründe dafür erfahren wir erst in einer Art Epilog, und das empfand ich erzählerisch doch als schwach.
Der besagte Epilog ist auch mein letzter Kritikpunkt an „Vortex“. Ich schrieb eingangs schon, dass Robert Charles Wilson mit der „Spin“-Trilogie ehrgeizige Ziele verfolgt. So begnügt er sich auch nicht damit, zehntausend Jahre der Menschheitsgeschichte im Zeitraffer zu präsentieren, nein, am Ende muss er auch noch das Ende des Universums schildern. Wie also sämtliche biologischen Zivilisationen untergehen, die Hypothetischen alle verfügbare Energie der Sterne aufbrauchen und schließlich sogar Schwarze Löcher verzehren.
Zurück bleibt eine gewisse Ernüchterung, weil sich die ewige Suche nach einer lenkenden Gottheit als Irrweg entpuppt, an dem die Menschheit schließlich zugrunde geht. Und zwar wortwörtlich, denn die Bewohner von Vox werden von den Hypothetischen quasi aufgefressen. Die am Ende zudem genau das sind, was „Spin“ bereits vorwegnahm: Maschinen ohne Bewusstsein, angetrieben nur von der Gier nach Energie und Informationen.
Kurz gesagt: Die Trilogie als solche ist eine Mogelpackung, da die beiden Fortsetzungen keinen nennenswerten Erkenntnisgewinn mehr liefern und noch nicht einmal inhaltlich viel mit dem ersten Band zu tun haben. „Spin“ selbst empfehle ich weiterhin unumwunden jedem, der sich für nachdenkliche Science-Fiction und außergewöhnliche Ideen begeistern kann. Aber man verpasst absolut nichts, wenn man „Axis“ und „Vortex“ im Regal stehen lässt.

3 von 5 miteinander vernetzten Bananen.