Dass Ezra in ihr nicht nur die aufsässige kleine Schwester, sondern vielleicht sogar eine Freundin sah, rührte sie auf unerwartete Weise. Wohl auch, weil sie selbst kein so großes Interesse für Ezras Leben empfand.
Kennt ihr das, wenn ihr die Lektüre eines Buches unterbrecht und das Gefühl habt, dass die Figuren darin gänzlich unbemerkt ihr Leben weiterführen? Gute Geschichten sorgen dafür, dass man die Figuren irgendwann als lebendige, atmende Wesen anerkennt, die ihre eigenen Entscheidungen treffen und ein Leben außerhalb des Buches führen. Die Abenteuer erleben, von denen wir nie etwas erfahren, weil wir nur dem Helden folgen, und die auch nach dem Happyend noch Kämpfe auszutragen haben.
Ich glaube, beim Schreiben ist das alles noch viel extremer. Obwohl ich sehr Charakter-getrieben schreibe, lasse ich meinen Protagonisten gerne Freiraum, mir Seiten an sich zu offenbaren, die ich noch nicht kenne. Das führt immer wieder zu Überraschungen, geradezu berühmt ist ja mittlerweile der Fall, als eine Figur plötzlich enthüllte, die Mutter einer anderen Figur getötet zu haben, was mich damals selbst schockierte. Meistens ist es nicht ganz so krass, aber in der Konsequenz nehme ich meine Figuren als echte Menschen wahr, deren Entwicklung nicht immer vorhersehbar ist.
Diese Dinge beschäftigen mich dieser Tage wieder, während ich mir Gedanken darüber mache, was ich mit meinen Nebenfiguren in „Dhenari“ anstelle. Es stand immer fest, dass dies Akis Geschichte ist, und dass sie die treibende Kraft hinter der Handlung ist. Tatsächlich ging ich sogar davon aus, dass der Roman zu überladen würde, wenn ich auch noch erzählte, was die vier anderen Figuren erleben, während Aki sozusagen die Welt rettet. Aber wenn mir die Anmerkungen meiner Beta-Leser eines gezeigt haben, dann, dass ich damit nicht nur völlig daneben liege, sondern dass sogar ausgesprochenes Interesse daran besteht.
Und hier beginnen natürlich ganz andere Probleme, denn gegen einen Plot, in dem es um die Moral und Ethik eines ganzen Volkes geht, kann eigentlich keine Nebenhandlung ankommen. Dann wiederum … ist es nicht gerade das, was die Idee ausmacht, dass die Figuren ein Leben außerhalb des unmittelbaren Dramas haben? Aki ist so beschäftigt mit sich selbst, dass sie nicht merkt, dass auch ihre Schwester eine bedeutende Entwicklung durchmacht, auch wenn diese vielleicht keine globale Auswirkung hat. Und mit einem Mal habe ich das Gefühl, dass „Dhenari“ wirklich eine klassische Coming-of-Age-Geschichte werden kann.
Das ist es, was für mich so sehr den Reiz des Lesens, von handwerklich wirklich gut gemachten Bücher ausmacht. Zu wissen das da mehr ist als auf den Seiten geschrieben steht die zu diesem Buch gehören. Zu wissen das der Raum zwischen den Zeilen nie und nimmer leer ist. Zu wissen das dort Welten geboren werden, sich entwickeln und wieder vergehen. Zu wissen das dort genauso alles atmet und lebt so wie wir es hier scheinbar tun.
Wenn man, gleich welche, literarische Welt als Gedankenspiel begreift, und mein inneres Kind das spielt eben immer gern, dann macht das für mich im Grunde eben diesen Zauber aus, den Bücher imstande sind zu verbreiten. Und genau das hast du hier sehr schön zusammengefasst.
Zum Schreiben, da kann ich wohl wenig darüber sagen. Die paar Zeilen die ich da so in meine Hefte ‚zeichne‘, das kann man wohl kaum als schreiben bezeichnen. Obwohl, im fabulieren da bin ich durchaus geschäftig und fleißig. Wie auch immer, ich habe da längst meinen Frieden damit geschlossen, dass meine Zeilen nie und nimmer Bücher füllen werden.
Und Dhenari. Ich bin gespannt. Und ich gebe auch die Hoffnung nicht auf die Geschichte so als richtiges Buch in Händen zu halten. (Ohne E-Reader; es ist ganz einfach gesagt mühsam. Und nein, nein, ich kaufe mir keinen. Ich bin da sehr streng). Die gute Arwel ist da ganz anders. Die ist eben immer zur Hand. Aber ja die Zeit wird die Dinge bringen.
Vielleicht noch etwas zu Dhenari. Es ist schon irgendwie seltsam das einem so kleine Begebenheiten derart stark im Gedächtnis bleiben. Ich meine da Akis ‚Kampf‘ mit Joon. Und zwar als Aki den Stock in die Hand nimmt und dann feststellt das der Schwerpunkt womöglich nicht genau in der Mitte liegt. Beim ersten Lesen da habe ich bereits gestutzt und mir gedacht, Oh? da ist etwas und es war da auch gleichzeitig so ein richtiges wohlgefühl. Und natürlich beginnt man dann zu überlegen und versucht dahinter zu kommen warum einem ein Holzstab in der Hand eines Mädchens so sehr fasziniert…
Ja, das ist etwas, was mir, glaube ich, auch darüber hinweg hilft, dass ich derzeit keinen Nerv zum Schreiben habe. Die Figuren leben ihr Leben trotzdem weiter, auch ohne mich.
Was „Dhenari“ angeht, so bleibt die gedruckte Version wohl ein frommer Wunsch. Zumindest, so lange nicht plötzlich doch ein Verlag möchte. Im Selbstverlag ist mir das zu heikel mit Veröffentlichung der Adresse und so.