In den Sozialen Medien und auf speziellen Buchclub-Websites übertrumpfen sich die Leute damit, wie viele Bücher sie in einem Jahr, einem Monat, einer Woche lesen können. Haben wir verlernt, Bücher einfach zu genießen?
Die Geschichte beginnt mit einem kleinen Heftchen, das ich Anfang des Jahres bei einem bekannten Buchhändler mitnahm. In 24 vorgegebenen Feldern sollte man jedes Buch notieren, das man gelesen hat, und einen Satz dazu schreiben, warum es einem gefallen hat. Eine schöne Idee eigentlich, und damals dachte ich auch noch, die 24 Bücher schaffe ich doch mit links in einem Jahr.
Jetzt, elf Monate später, weiß ich, dass ich maximal 20 schaffen werde. Dass 1.000-Seiten-Wälzer dieses Jahr einmal nicht die Ausnahme, sondern die Regel waren, ist dabei nur ein Teil des „Problems“. Irgendwann im letzten Drittel des Jahres wurde mir auch bewusst, dass ich mich völlig unnötig unter Druck setze und nur noch das Ziel vor Augen habe. Dabei ist beim Lesen doch gerade der Weg das Entscheidende.
Es ist der absurde Gipfel eines Selbstoptimierungswahns, der unsere Gesellschaft befallen hat. Als wäre selbst das Lesen von Büchern nur ein weiterer Punkt auf der To-do-Liste, um ein besserer und klügerer Mensch zu werden. Versteht mich nicht falsch, ich kenne das nagende Gefühl, dass die eigene Lebenszeit für so viele lohnenswerte Bücher einfach nicht ausreicht. Aber indem ich durch alle nur durchhetze, habe ich am Ende doch nur von mehr Büchern nichts.
Ich jedenfalls habe mich aus diesem Wettbewerb wieder verabschiedet und genieße künftig lieber meine fünfzehn bis zwanzig Bücher im Jahr. Das Heftchen wird dann eben erst kommenden Februar voll.
Eh? Der ganze Ansatz ist völlig falsch, finde ich. Das erinnert mich an die Touristen auf Europareise, die schnell-schnell von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten gekarrt werden, dort aus dem Bus hüpfen und fix Fotos machen, um dann möglichst zügig weitergefahren zu werden. Es gibt ja so viel zu sehen und es ist so wenig Zeit! Was man da eben gesehen hat, kann man sich daheim ja auch noch auf den Fotos angucken.
Nee, nee, ich lass mir Zeit beim Lesen. Meine Lieblingsbücher lese ich sogar mehrfach, wie uneffektiv das auch sein mag. Wenn wir jetzt schon unsere Freizeit turbo-optimieren, was bleibt dann noch zum Leben? Slow-Food ist angesagt, Slow-Read sollte es auch sein.
(Ich trauere einzig um die Lebenszeit, die ich mit ein paar wirklich schlechten Büchern vergeudet habe, aber das ist eine andere Sache …)
P.S. Wird der Nachtappell jetzt eine regelmäßige Rubrik bei dir?
Also Bücher mehrmals lesen finde ich nicht uneffektiv. Abgesehen davon das man ja jedesmal ein anderer ist wenn man es liest. Ich kann mich mit manchen Büchern auch sehr lange und ausgiebig beschäftigen. Einige sind da schon sehr verwittert und abgeschunden. Ist aber auch eine Art Wertschätzung gegenüber einem wirklich gutem Buch finde ich.
Und ja, bei einigen Büchern ist einmal lesen schon zu viel. Aber in einigen fällen da könnte ich es aber kein zweites Mal lesen, weil es mir einfach zu…, ich weis nicht, manche Bücher haben schon eine unglaubliche Kraft.
Wie gesagt, ich habe mich wegen dieses dummen Heftchens ein bisschen hinreißen lassen dieses Jahr. Eigentlich sehe ich das nämlich wie du, man will mich ja auch daran erfreuen, wie ein Autor schreibt, wie er Sätze konstruiert und ein Bild vor meinem geistigen Auge erschafft.
Wenn mir allerdings ein Buch überhaupt nichts gibt, bin ich mittlerweile sehr radikal und leg es weg. Dieses Jahr war das, wenn ich mich recht erinnere, nur „Der Glöckner von Notre Dame“, da war es mir dann auch egal, dass es ein Klassiker ist.
PS: Und ja, der Nachtappell soll tatsächlich eine wiederkehrende Rubrik werden. So eine Art innerer Monolog zu Themen, für die ich nicht groß ein Essay aufziehen will. Mal schauen, wo das so hinführt …
Besser gemütlich in der Höhle des Lesens, als auf dem steilen windigen Grat der Selbstoptimierung. Sehe ich auch so. Und Lesen ist ist immer noch Abenteuer im Kopf und nicht sinnloses Rasen durch die Buchstabenwelt. Schöner Leitspruch wie du sagst, „Du kannst sowieso nicht alle lesen, drum wähle sorgsam deine Bücher“. Danke Jes.
Und so wird mein Lesestapel niemals kleiner werden … 🙂
Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich es nervig finde, dass insbesondere bei phantastischer Literatur mittlerweile fast nur noch Reihen erscheinen und sehr, sehr wenige Einzelbücher. Es hat seinen Reiz, sich auf so ein längeres Abenteuer einzulassen (siehe „Dunkler Turm“ oder auch „The Expanse“), aber es raubt einem natürlich auch Zeit, die man vielleicht sonst in andere Bücher investieren würde.