Literatur am Samstag | Doctor Who: Drei kleine Schwestern

Einige meiner ersten Geschichten waren Fanfiction, weshalb ich noch heute eine Schwäche dafür hab und vor ein paar Jahren für einen Wettbewerb diese kleine „Doctor Who“-Story geschrieben habe. Ziel war es, eine historische Person unterzubringen — bei mir wurden es gleich drei. Mal schauen, ob ihr erkennt, über welchen Doctor ich schreibe … (Oh, und nur damit das klar ist, „Sturmhöhe“ ist mein Lieblingsbuch.)

An einem ganz normalen Donnerstagnachmittag machte die TARDIS plötzlich seltsame Geräusche. Der Doctor hob interessiert die Augenbrauen, achtete aber weiter nicht darauf, denn er wusste, er musste sich erst Sorgen machen, wenn sie komische Geräusche machte. Oder gar keine. Die TARDIS verstummte. Er hielt irritiert inne und drehte an einigen Knöpfen, doch nichts geschah. Seit River an den Kontrollen herumgespielt hatte, passierte so was ständig! Er merkte nicht einmal, dass er gelandet war, bis er auf den kleinen Bildschirm über seinem Kopf blickte und las: Haworth, Erde, 1848.
„Ländliches England? Wirklich?“ fragte er enttäuscht.
Ein forderndes Klopfen hellte seine Miene augenblicklich auf. Er sprang zur Tür, riss sie schwungvoll auf und sah nach unten. Eine kleine, recht gewöhnlich aussehende junge Frau im graubraunen Kleid stand vor ihm und blickte ihn ärgerlich an. „Was fällt Ihnen ein, in unserem Garten so eine hässliche … Scheune zu errichten?“
Der Doctor streckte den Kopf an ihr vorbei nach draußen, konnte aber kein Haus sehen, das die Bezeichnung Garten rechtfertigte. So weit er blicken konnte, erstreckten sich Wiesen und Weiden, und erst weit hinten am Horizont waren einige Bäume zu sehen, hinter denen sich offenbar ein Sturm zusammenbraute. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die junge Dame, die ihn noch immer taxierte, und bemerkte dabei, dass sie ein Buch an ihre Brust presste. Das änderte natürlich alles. Mit einem breiten Grinsen hielt er ihr seine Hand entgegen. „Ich bin der Doctor.“
Misstrauisch ergriff sie seine Hand und nutzte die Gelegenheit, um sich an ihm vorbei zu drängeln. „Emily“, murmelte sie abwesend, während sie ihren Blick durch die TARDIS schweifen ließ. „Emily Brontë.“
„Oh“, machte er, als sein Gehirn ein bisschen verzweifelt versuchte, diverse Informationsbröckchen miteinander zu verknüpfen. Und scheiterte. „Sie haben Jane Eyre geschrieben“, rief er hocherfreut. „Mein Lieblingsbuch.“
Emily drehte sich abrupt um. „Das war meine Schwester Charlotte“, korrigierte sie frostig.
„Oh“, wiederholte der Doctor. „Ooooh.“ Und als wäre nichts gewesen, schwärmte er: „Sie haben Sturmhöhe geschrieben. Mein Lieblingsbuch.“
„Gerade sagten Sie, Jane Eyre wäre Ihr Lieblingsbuch.“
„Ja, na ja“, wand sich der Doctor, „Sie müssen zugeben, Ihre Geschichte ist schon ziemlich düster.“
„Und die meiner Schwester nicht?“ wunderte sich Emily. „Ein Mann, der seine geisteskranke Frau in einem Turmzimmer versteckt und bei einem Brand erblindet? Das ist natürlich so viel erfreulicher.“
„Aber Jane und Rochester kriegen sich am Ende“, bemerkte er zaghaft.
„Wer in Gottes Namen sind Sie? Sie sind wirklich die absurdeste Person, mit der ich je meine Zeit vergeudet habe!“
Ehe der Doctor antworten konnte, klopfte es erneut an die Tür. Er sah sich um, dann wieder zu Emily und zeigte entschuldigend hinter sich, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und die Tür ein zweites Mal öffnete. Vor ihm stand eine weitere junge Frau in einem dunkelgrauen Kleid und mit einem Buch in der Hand.
„Charlotte Brontë, sehr erfreut“, sagte sie und schob sich an ihm vorbei. „Einen ganz bemerkenswerten Schuppen haben Sie hier gebaut.“
„Ah, Charlotte, darf ich dir deinen größten Fan vorstellen“, bemerkte Emily in einem Tonfall, den der Doctor mit schnippisch umschrieben hätte, käme die Bemerkung nicht von einer der größten Autorinnen der englischen Geschichte. „Ihm hat vor allem die romantische Wendung in Jane Eyre gefallen.“
„Wirklich?“ fragte Charlotte geschmeichelt und errötete leicht.
„Nun ja.“ Er zupfte seine Fliege zurecht und fühlte sich ein bisschen ertappt. Er mochte eben Happyends, daran gab es nun wirklich nichts auszusetzen.
Wieder klopfte es draußen, worauf der Doctor mit den Augen rollte. „Immer herein“, rief er, „ich hab heut Tag der offenen Tür.“
Eine dritte Frau trat ein und sah ihn erstaunt an. „Wohnen Sie hier, Sir? Ich muss Sie nämlich darauf aufmerksam machen, dass dieser Garten meiner Familie gehört.“ Dann bemerkte sie die Größe des Innenraums und blinzelte mehrmals.
„Anne, du kommst gerade recht zu einer hochinteressanten Diskussion über Literatur“, bemerkte Emily. „Mister Doctor, was halten Sie denn von Annes Roman?“
Sein Blick wanderte von einer Schwester zur anderen. Das war jetzt irgendwie nicht so gut. Wollten sie ihn nur ärgern? Sie hatte überhaupt keinen Roman geschrieben, oder? „Hm, ja“, antwortete er unbestimmt.
Agnes Grey“, half Anne ihm aus, doch ihre Stimme verriet, dass sie ihm keinen Gefallen tun wollte.
Das wurde ihm nun doch ein bisschen zu viel. Er reiste durch Raum und Zeit, rettete ständig die Welt und rannte eine Menge, da kam er nun mal nicht so oft zum Lesen. „Meine Damen“, begann er und packte die ihm an nächsten stehende Charlotte an den Schultern, um sie demonstrativ Richtung Ausgang zu schieben. „Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich habe noch eine Verabredung zum Tee mit Charles Dickens.“ Der ist weniger nervenaufreibend, fügte er in Gedanken hinzu und griff nach Emilys Arm, die noch immer regungslos in der TARDIS stand.
„Sie kennen Charles Dickens?“ fragte Anne verblüfft.
„Persönlich?“ hakte Emily nach.
Der Doctor ließ die Tür hinter sich zufallen und seufzte wohlig in die Stille. Diese Donnerstage. Zum Glück hatte sich die TARDIS beruhigt und ließ sich problemlos auf Kurs bringen, und so überlegte er, ob er seinen alten Freund Charles nicht tatsächlich mal wieder besuchen sollte. Oliver Twist war nämlich sein Lieblingsbuch.