Nähen, um den Kleiderschrank zu bereichern? Nicht grundsätzlich.
Fünf Gründe, weshalb ich trotzdem gerne nähe.
Vor gar nicht langer Zeit stieß ich auf eine Frage in einem Onlineforum zum Thema Nähen. Ein potentieller Neuanfänger wollte wissen, ob es sich lohne, das Hobby zu beginnen, um damit tragbare, günstige Mode zu kreieren.
Die Antwort war: Nein. Alteingesessene Näherinnen mit jahrelanger Hobby- oder Profierfahrung bestätigten sich gegenseitig darin, dass Nähen mitnichten ausschließlich Kleiderschrankteile hervorbringe, im Gegenteil: die allermeiste Kleidung, die aus Nähprojekten entstehe, würde nie getragen.
Und im Grunde stimmt das mit meinen Erfahrungen überein.
Meine ernüchternde Wahrheit ist: Ich habe in den letzten Jahren, seit ich meine Nähmaschine gekauft habe, kein einziges Teil hervorgebracht, dass ich regelmäßig trage. Ich habe viel Geld in Stoffe und Zubehör gesteckt, und dadurch Kleidungstücke zu einem Materialpreis erzeugt, zu dem ich sie wohl nie im Laden gekauft hätte. Ich habe geschwitzt und geflucht und ab und zu sogar geheult, weil es einfach nie so sein wollte, wie ich es haben wollte. Nicht zuletzt bin ich meinem direkten Umfeld dabei tierisch auf die Nerven gegangen.
Also, warum tue ich mir das an und denke bereits über die nächsten zwei Projekte in diesem Jahr nach?
1. Ich lerne viel dabei (Technik)
Was ich gerne und leicht nähe (lange gescheut und doch so einfach: der Blindstich), und was mir Schwierigkeiten bereitet (*hust* Ärmel, Reißverschlüsse*hust*). Welche Schritte aus dem Schnittmuster ich abändern kann, und wo ich mich besser genau an die Vorlage halte – auch wenn ich den Sinn gerade nicht erkennen mag. Wo sich Geduld bis zur Selbstaufgabe (siehe unten) lohnt, und wo man ruhig ein wenig schummeln kann.
Was ich aber noch nicht wirklich draufhabe, ist, den richtigen Stoff zu wählen. Bei meinem hier vorgestellten Mantel ist dieser viel zu schwer, und auch wenn ich das Ergebnis mag, so hindert mich das Gewicht bislang einfach daran, ihn mal eben überzuwerfen. Im Zweifel greife ich doch lieber zur leichteren Funktionsjacke.
Und dann gibt es die Teile, aus denen ich einfach zu schnell rausgewachsen bin, weil ich sie viel zu eng genäht habe. Ein körpernaher Sitz sieht gut aus, ist halt aber eben nicht grundsätzlich bequem.
All das sind Erfahrungen, die ich mit oft einfach untragbaren Stücken bezahlt habe.
2. Ich lerne viel dabei (Psychologie)
Wenn man gerade eine Stunde lang einen Saum per Hand genäht hat, um dann zu bemerken, dass man jetzt eine Falte im Stoff hat und sich alles komisch verzieht, gehört viel dazu, nicht das ganze Ding an die Wand zu werfen. Oder sich einzureden, das wäre ja fast nicht sichtbar, nur um nicht alles wieder auftrennen und neu machen zu müssen.
Dann tut man es doch, schluckt seinen Frust herunter und macht sich an die undankbare Aufgabe. Und was habe ich schon auftrennen müssen, gefühlte Kilometer Nähte! Manchmal sogar mehrfach, innerlich den Tag verfluchend, an dem ich dachte, mir eine Nähmaschine zulegen zu müssen.
Aber es schult ungemein. Oft braucht man etwas Abstand vom Projekt, aber dann will man es doch richtig machen. Man atmet durch, nimmt das schimpfend hingeworfene Teil wieder auf und beginnt. Da ich von Natur aus ein sehr ungeduldiger Mensch bin, bin ich am Ende rechtschaffen stolz auf mich.
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3. Ich kann machen, was mir gefällt
Als großer Fan der Mode der Regency-Periode, landläufig auch bekannt als „Jane Austen-Zeit“, wollte ich immer eins der dafür bekannten Kleider besitzen. Anders als die ausladende viktorianische Reifrock/Korsett-Mode der späteren 1800er Jahre, sind diese, wie ich finde, sehr gut tragbar, wenngleich nicht wirklich alltagstauglich. Ein solches Kleid war eines meiner ersten Projekte und Hauptmotivation, mit dem Nähen überhaupt zu beginnen. Und ich habe es sogar getragen, als Gast bei einer Hochzeit, wo es als „Jane Austen-Kleid“ sogar erkannt und bewundert wurde. Seither habe ich es allerdings auch nicht mehr aus dem Schrank geholt.
(Eines meiner heimlichen Wunschprojekte ist es übrigens, noch einmal ein solches Kleid zu nähen, es aber moderner abzuwandeln und auch mal im Sommer tragen zu können, ohne auszusehen wie dem Set von Stolz und Vorurteil entflohen. Oder vielleicht gleich eine Longbluse daraus zu machen und mit Jeans zu tragen. Ob ich es je in Angriff nehme, steht in den Sternen, und noch mehr, ob ich es dann tatsächlich auch mal tragen würde – aber ganz lässt mich die Idee nicht los.)
Und das lässt dich das Nähen eben tun: Dinge machen, die es so nicht gibt, aber definitiv geben sollte.
4. Stoff kaufen macht extrem viel Spaß
Und es kann gleichzeitig auch sehr ernüchternd sein, wenn man einfach nicht das Richtige finden kann. Aber sei’s drum, in Stoffläden zu stöbern ist, wie als Kind im Süßigkeitenladen umherzulaufen. Und wenn der Wunschstoff gefunden ist, kommt der fast bessere – und noch mehr ernüchternde – Teil: Accessoires finden. Passende Knöpfe, Garn, Vlieseline, Futterstoff. Zu überlegen, was zusammen passt, was kontrastiert oder sich ergänzt. Wie man Verschlüsse unsichtbar macht oder akzentuiert. Was sich mit dem Schnittmuster überhaupt passend umsetzen lässt.
5. Die Befriedigung, einem Projekt beim Wachsen zuzusehen
Aus gefühlt Tausenden von scheinbar zusammenhanglosen Einzelteilen entsteht etwas Ganzes. Ein bisschen zusammenheften da, etwas raffen hier, Markierung auf Markierung, links auf links. Und dann wenden und … aaah . Plötzlich ist da ein Shirt, ein Mantel, eine Bluse, und sie passt (fast) perfekt.
Kurz vor der Erkenntnis, dass das Werk eben doch nicht ganz so praktisch, leicht und alltagstauglich wurde, ist man extrem stolz, dass man so etwas überhaupt fertiggebracht hat. Aus der Vision ist Wirklichkeit geworden. Ob sie den Realitätscheck besteht, ist da erst einmal zweitrangig.
Und deswegen tue ich mir das an. Auch wenn es mehr Lehrstück als Alternative zum Kauf und Bereicherung des Kleiderschranks ist. Auch wenn ich das Allermeiste vermutlich nie wieder tragen werde. Vermutlich ist beim Nähen für mich der Weg am Ende doch das Ziel.
Geduld. Für mich ist es definitiv Geduld, die ich durchs Nähen gelernt habe. Und eine geradezu masochistische Hartnäckigkeit, wenn ich da an meine fünfzehntausend Versuche beim Faltenlegen zurückdenke. 😅 Am spannendsten finde ich aber, wie sich mein Verhältnis zu Kleidung dadurch verändert hat, dass ich nun verstehe, wie sie konstruiert ist. (Irgendwann will ich darüber auch noch schreiben, aber ach, die Zeit …)
Trotzdem lautet mein Fazit in einem Punkt komplett anders: Meine selbstgenähte Kleidung ist die meistgetragene in meiner Garderobe. Aber ich denke, das liegt einfach daran, dass ich tatsächlich die Sachen nähe, die man in Geschäften nicht (mehr) oder nur schwer findet. Namentlich Kleider, die nicht wie Säcke an mir herunterhängen, und ausgestellte Röcke, die mehr als meinen Po bedecken. Fürs Basic-Shirt lohnt sich der ganze Aufwand tatsächlich nicht, dann müsste man schon einen richtig tollen Stoff finden.
Wobei ich gerade einen ganzen Schwung Basic-Shirts in Planung habe. 😉
Wenn das Zuschneiden und alle weiteren Schritte mal stehen, geht das sicher schnell mit dem Zusammennähen, stell ich mir vor. Zumindest schneller als wenn ich ein Shirt im Handel suche, das mal nicht zu kurz ist oder „Hochwasserärmel“ hat.
Und die Chance ist dann auch groß, dass ich die tatsächlich im Alltag trage, eben weil Basic und so.