„I was being hunted. And I was completely unaware it was happening.“
Vampir Louis erzählt dem Reporter Daniel Molloy ein zweites Mal seine Lebensgeschichte – und lässt diesmal die pikanten Details nicht aus. Spoiler!
Let the tale seduce you, just as I was seduced
2022, fast fünfzig Jahre, nachdem der Vampir Louis de Pointe du Lac dem Reporter Daniel Molloy seine Lebensgeschichte erzählt hat, schickt er ihm erneut eine Einladung. Louis möchte einige Dinge richtigstellen und diesmal die Wahrheit erzählen, wie er zum Vampir wurde. Die Geschichte beginnt im Jahre 1910 in Storyville, einem Vergnügungsviertel in New Orleans, wo Louis nach dem Tod seines Vaters mehrere Bordelle betreibt. Als er Lestat de Lioncourt kennenlernt, ist er zugleich fasziniert und eingeschüchtert – und muss bald erkennen, dass an Lestat nichts Menschliches ist.
Die ewig leidenden Vampire von Anne Rice
Hier wären wir also. Ich weiß heute nicht mehr, ob ich zuerst durch Anne Rice oder Bram Stoker mit dem Vampir-Genre in Kontakt kam, doch „Gespräch mit dem Vampir“ hatte zweifellos den größeren Einfluss auf mich. Ich mache zwar oft Scherze über die genüsslich leidenden Vampire bei Rice, aber ich vermute, das hat mehr mit dem Kinofilm von 1994 als mit dem Buch zu tun. (Wir werden es herausfinden, denn parallel zu diesen Reviews habe ich gerade damit begonnen, den Roman ein zweites Mal zu lesen.)
Der Grund, warum ich all das vorausschicke, ist, dass ich mich dem Genre extrem verbunden fühle und bereits ahne, dass ich in meiner Kritik nicht immer ganz objektiv sein werde. Wie ich schon in meinem „True Blood“-Artikel schrieb, es ist nicht so sehr der Horror, der mich fesselt, sondern die Vorstellung eines ewigen Lebens, die einem einen ganz anderen Blick auf die Welt eröffnet. Ich meine, so weit wir wissen, könnte das genüssliche Leiden am Ende unvermeidlich sein.
„It’s not an interview, it’s a fever dream … told to an idiot.“
Erzählerische Freiheiten, die der Geschichte helfen
Die Serie „Interview with the Vampire“ jedenfalls bleibt wesentlich dichter an der Romanvorlage als der Film – und erlaubt sich gleichzeitig einige interessante Freiheiten. Die wichtigste Änderung ist, dass die Handlung ein wenig weiter in die Zukunft verlegt wurde. Statt 1791 wird Louis in dieser Version 1910 zum Vampir. Er ist auch kein weißer Plantagenbesitzer, der Sklaven für sich arbeiten lässt, sondern ein Schwarzer, der sein Geld als Zuhälter verdient. Auf den ersten Blick eine massive Änderung des Charakters, doch wenn man darüber nachdenkt, sind die Frauen, die für ihn arbeiten, auf ihre Weise auch Sklaven. Ihre Fesseln sind lediglich gesellschaftlicher Natur.
Mit einem raffinierten Twist macht die Serie den Film sogar zu einem Teil des eigenen Kanons. Das Interview, das Louis Daniel 1973 gegeben hat, hat auch hier stattgefunden. Doch da jede Erzählung individuell gefärbt ist, gibt Louis gleich zu Beginn zu, dass er damals einige Details verzerrt wiedergegeben oder schlicht ausgelassen hat. Eines dieser Details betrifft seine Beziehung zu Lestat, die – wir ahnten es immer – eine Liebesbeziehung war. Insbesondere hier bleibt „Interview with the Vampire“ dem Roman treu und macht aus dem dortigen Subtext endlich Text.
Die Hauptdarsteller sind ein Glücksgriff
Was mich unweigerlich zur größten Stärke der Serie bringt: ihre Hauptdarsteller. Jacob Anderson, der Louis de Pointe du Lac spielt, ist ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Er hatte zwar schon einige Rollen, darunter auch in „Game of Thrones“, doch mir war er vorher praktisch unbekannt. „In Throes of increasing Wonder“ zeigt uns Louis an zwei sehr unterschiedlichen Punkten seines Lebens, 1910 als ehrgeiziger Mensch, der viel Wut auf die Gesellschaft in sich trägt, und 2022 als ruhiger, geradezu reservierter Vampir. Beide Extreme fängt Anderson perfekt ein, und es wird sicher interessant, in den kommenden Folgen den langsamen Übergang zu sehen.
Völlig außer Konkurrenz spielt allerdings Sam Reid den legendären Vampir Lestat de Lioncourt. Tom Cruise wer? Ich hatte Reid kurz zuvor noch in „The Newsreader“ gesehen und möchte festhalten, dass ich nicht mal merkte, dass es sich dabei um ein und denselben Schauspieler handelt. Er taucht komplett in die Rolle ein, in diesen verführerischen Lebemann, der Louis umgarnt und von Liebe redet, obwohl er so offensichtlich gar nicht mehr weiß, was dieses Wort bedeutet. Er ist durch und durch unmenschlich, und das macht ihn anziehend und beängstigend zugleich.
„Emasculation and admiration in equal measure. I wanted to murder the man … and I wanted to be the man.“
Blut getrunken wird bitte erst beim dritten Date
Ich werde wahrscheinlich nicht bei jeder Folge darauf eingehen, wie sie sich von der Buchvorlage unterscheidet, weil ich „Interview with the Vampire“ zugestehen möchte, etwas Eigenes zu kreieren. Beim Piloten finde ich es aber nur angemessen, weil hier das Worldbuilding passiert, und weil ich auch das Buch gerade erst begonnen habe. Die Serie verwendet sehr viel Zeit und Mühe darauf, die Beziehung zwischen Louis und Lestat zu entwickeln, bevor Louis ein Vampir wird. Im Buch nutzt Lestat einfach nur Louis’ Todessehnsucht aus, eine Beziehung entwickelt sich erst danach. Nichts gegen Anne Rice, aber ich bevorzuge die Serienversion, und nicht nur wegen Lestats aggressivem Flirt-Stil.
Auf der anderen Seite bemüht sich die Serie nicht mal darum, den Selbstmord von Louis’ Bruder Paul irgendwie zu erklären. Zugegeben, dieser Part ist auch im Buch etwas schwammig, aber dort geht ihm immerhin ein Streit zwischen Louis und Paul voraus, weil Paul das gesamte Familienvermögen der Kirche schenken will. Und weil ihre Mutter den Streit gehört hat, ergibt es auch Sinn, dass sie Louis später die Schuld an Pauls Tod gibt. In der Serie unterhalten sich die beiden hingegen nett über ein Mädchen, das Louis unbedingt heiraten soll, und dann springt Paul einfach so vom Dach. Dadurch fehlt auch der Reaktion der Mutter jedweder Kontext.
In Throes of increasing Notes
• Falls ihr euch über die langen und etwas obskuren Folgentitel wundert, die sind allesamt direkte Zitate aus der Romanvorlage.
• Die Welt von „Interview with the Vampire“ will übrigens explizit unsere eigene sein, deshalb gibt es mehrere Andeutungen bezüglich Covid.
• Was meint ihr, an welchem Punkt wird Louis klar, dass Lestat kein Mensch ist? Wenn ich mich nicht irre, fällt das Wort Vampir zwischen ihnen kein einziges Mal – auch nicht, nachdem Lestat das erste Mal von Louis getrunken hat.
4 ½ von 5 Bananen, die nicht der Teufel sind.
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