Let’s do some recruiting, shall we?
Worum geht es?
Wir befinden uns im London der Zukunft. Jeder Mensch ist durch sein Smartphone an eine Reihe von sozialen Netzwerken angeschlossen, Patienten- und Polizeiakten sind digital vernetzt, und über den Köpfen stellen Drohnen Pakete zu. Werbung auf Leuchtreklamewänden wird über Server gesteuert, Kryptowährungen boomen an der Börse, und auf den Straßen fährt beinahe jedes Fahrzeug autonom.
Wie man sieht, ist es das nicht das London einer allzu fernen Zukunft, aber eines, in dem die eigentliche Macht in den Händen jener liegt, die sich diese totale Vernetzung zunutze machen können.
Offiziell von der Regierung für die Sicherheit der Stadt beauftragt ist die Megafirma „Albion“, eine militärisch geführte Organisation, und Watch Dogs wäre nicht Watch Dogs, wenn es daraus nicht einen leider recht eindimensionalen Bösewicht der Geschichte schnitzen würde.
Das 2020 erschienene Third Person-Spiel Watch Dogs: Legion des Entwicklers Ubisoft zeichnet sich wahrlich nicht durch Vielschichtigkeit aus: „Albion“ ist böse, dafür sind die Helden eine kleine, aus dem Untergrund agierende Rebellenorganisation namens „DedSec“ und die dazugehörigen Hacker. Sie sind die Flöhe im Pelz der skrupellosen Sicherheitsfirma, die London mit Überwachungskameras und Propaganda überzieht.
Zuerst noch zersplittert und zudem durch das fälschliche Anhängen von terroristischen Anschlägen in der öffentlichen Meinung verunglimpft, muss sich „DedSec“ durch viele kleine und größere Hackeraktionen zum einen ihren guten Ruf als heimliche Retter Londons zurückerarbeiten, zum anderen auch „Albion“ das Handwerk legen.
Und dann ist da noch der Dritte im Bunde, eine noch völlig unbekannte Gruppe namens „Zero Day“, die ihre eigene Agenda verfolgt und dabei noch gewissenloser vorgeht als „Albion“.
Wie ist es?
Die Geschichte ist nicht das Besondere des Spiels. Die Fronten sind schnell geklärt, und die Missionen – hier ein Einbruch, dort eine Geiselbefreiung oder ein Hack einer feindlichen KI – sind zwar unterhaltsam, aber im Großen und Ganzen nichts Neues.
Es ist vor allem die Tatsache, dass in diesem London tatsächlich jeder ein Held sein kann.
Die Stadt ist riesig, unglaublich detailreich und wunderschön, besonders wenn sich in den Oberflächen und Regenpfützen die Umgebung echtzeitberechnet spiegelt (dank einer neuen und gerade sehr gehypten Technologie namens „Raytracing“, doch dies nur am Rande). Jeder Einwohner, der sich darin bewegt, folgt einem eigenen Tagesablauf und kann von „DedSec“ rekrutiert werden. Die jeweiligen besonderen Fähigkeiten jeder einzelnen Figur kann man durch einen schnellen Hack in Erfahrung bringen. So ist die Frau im schicken Kostüm tagsüber eine Bankangestellte (und kann „DedSec“ Kryptowährung verschaffen), nachts fährt sie mit ihrem teuren Wagen Rennen (und wäre für „DedSec“ eine begabte Fluchtwagenfahrerin). Der Bauarbeiter hat als Hobbyboxer gute Nahkampfskills und kann zudem Baudrohnen steuern. Und die nette alte Dame, die im Park Tauben füttert, war früher in einer Widerstandsorganisation und sammelt Schusswaffen.
Einige Figuren bringen „DedSec“ mehr, andere weniger, aber um sie zu rekrutieren, muss man für jede von ihnen kleine Gefälligkeitsmissionen erfüllen, um sie von ihrem neuen Arbeitgeber zu überzeugen. Selbst die „Albion“-Mitarbeiterin kann man so zum Ausstieg bewegen und fortan dafür verwenden, mit ihrer alten Arbeitsuniform unauffällig „Albion“-Gebäude zu infiltrieren.
Es ist unglaublich spaßig, durch London zu laufen, sich die Passanten anzugucken und auszuwählen, wessen Fähigkeiten man noch braucht in seinem Portfolio von Helden. Die einzelnen Missionen können durch Einsatz von Gewalt (Schusswaffen oder nicht-tödlicher Nahkampf) oder ganz ohne menschliche Anwesenheit allein durch Drohnen, Überwachungskameras und ferngesteuerte kleine Roboter erledigt werden. Der Hacker sitzt dann vor dem Gebäude beispielsweise hinter einer Mülltonne und steuert seine maschinellen und vernetzten Helfer per Smartphone durchs Gebäude. Beides spielt sich flüssig und intuitiv und macht Spaß, auch wenn man dabei oft vergisst, wofür man sich jetzt eigentlich durch das Versicherungsgebäude oder die Polizeistation hackt. Es ist eher die Frage: „Wie gehe ich am besten vor, um an den Hauptrechner zu kommen, und wen von meinen Leuten setze ich dafür am besten ein?“, als der Grund für die Infiltration selbst, der den Spieler bewegt. Da ist es gar nicht schlecht, dass sich die Geschichte nicht allzu komplex gestaltet.
Was kommt danach?
Watch Dogs: Legion ist bereits der dritte Teil des Watch Dogs-Franchizes. Bestimmt wird es weitere Teile geben, und wie zuvor wird es ums Hacken digitaler Netzwerke und die unverhohlene Kritik an der sozialen Vernetzung der Menschen samt Gefahr der totalen Überwachung gehen.
Spannender wird jedoch die Frage sein, was sich Ubisoft sonst noch für die Spiele ausdenken wird. Das Prinzip, dass es keinen einzelnen Helden gibt, sondern eine selbst aufgebaute, handverlesene Organisation, war für diesen Ableger jedenfalls das hauptsächlich Besondere.
Was kommt danach? Warten wir’s ab.
Dass man sich sein eigenes Team zusammenstellt, klingt sogar für mich als Nicht-Gamer interessant. Ist tatsächlich realistischer als gewissermaßen nur eine Kulisse mit Statisten zu haben. Spannend!