„Übel ist Übel, Stregobor. Kleiner, größer, dazwischen … alles dasselbe. Wenn ich zwischen dem einen und dem anderen Übel wählen soll, ziehe ich es vor, gar nicht zu wählen.“
Gerade erschien die Netflix-Adaption des „Hexer“-Romans vom polnischen Autor Andrzej Sapkowski. Es ist eine achtteilige Serie rund um die Abenteuer des Hexers Geralt von Riva, dem auch die hochgelobte Videospieltrilogie der Spieleschmiede CD Project RED gewidmet wurde. Naheliegend also, dass sich Serien-Nerd Jes und Videospiel-Junkie Helen unabhängig voneinander der Sache annehmen. Spoiler!
Welches Vorwissen war vorhanden?
Jes: Absolut keines. Ich habe mir zwar den Spaß gegönnt, im Vorfeld die Charakter-Videos von Netflix anzuschauen, aber ohne jeden Hintergrund waren die nicht wirklich hilfreich.
Helen: Einiges. Ich kenne natürlich die Spiele, habe jeden Teil mindestens dreimal gespielt und absolut geliebt. Die Bücher, von denen ich die Kurzgeschichtensammlung „Der letzte Wunsch“ schon vor den Spielen kannte, habe ich gelesen, muss allerdings sagen, dass mir Sapkowskis Art zu schreiben, oder zumindest die deutsche Übersetzung, gar nicht zusagt. Die polnische Serienverfilmung aus den frühen 2000ern hingegen gefiel mir wiederum gut – nicht zu verwechseln mit dem daraus zusammengeschnittenen Film, der wohl zurecht verrissen wird. Kleiner Funfact am Rande: Der Darsteller von Geralt in der polnischen Serie synchronisiert achtzehn Jahre später den Netflix-Trailer für die polnische Lokalisierung.
Welche Hoffnungen/Befürchtungen gab es im Vorfeld?
Jes: Meine größte Furcht war, dass sich die Macher dem überlebensgroßen Vorbild „Game of Thrones“ beugen und aus reinem Selbstzweck blutige Schlachten und explizite Sexszenen einbauen. Gehofft habe ich hingegen auf selbstbewusste Fantasy, die sich traut, eigene Wege zu gehen und nicht die üblichen Klischees zu bedienen.
Helen: Ich beschäftige mich bewusst ungern mit Berichten und Trailern vor Releases, auf die ich gespannt bin. Lieber ist mir, dass das Endprodukt unvorbelastet wirken kann, in seiner Gesamtheit. Trotzdem macht man sich als großer Fan zumindest des Spielfranchises so seine Gedanken. Mein erster Eindruck zu Henry Cavill war: Völlig ungeeignet. Zu muskulös, zu amerikanisch und schlichtweg zu hübsch. Der Witcher in den Büchern ist eher ein hässlicher Vogel, und es mutet etwas seltsam an, wenn Cavill-Geralt erzählt, dass ein von ihm gerettetes Mädchen bei seinem Anblick anfängt, zu schreien und sich zu übergeben. (Gleichzeitig muss ich zugeben, dass auch der Geralt der Spiele – zumindest von Teil 2 und 3 – ein wenig zu gutaussehend geraten ist.) Vom Rest des Casts habe ich mir bewusst keine Meinung gebildet. Wer in den Büchern weiß ist und wer dennoch in der Serie von Dunkelhäutigen dargestellt werden soll, diese Diskussion war und ist für mich völlig müßig. Daher habe ich mir selbst Hoffnungen und Befürchtungen verboten, so gut das ging.
Welche Stärken hat „The Witcher“?
Jes: Ich war überrascht, wie sehr mir Geralt innerhalb kürzester Zeit ans Herz gewachsen ist, weil er einmal nicht der typische Hollywood-Held ist. (Interessanterweise erinnerte er mich stark an den Revolvermann aus Stephen Kings „Dunkler Turm“-Reihe – angefangen bei seiner stoischen Gleichmut bis hin zu der Tatsache, dass alle Frauen mit ihm ins Bett wollen.) Die größte Stärke der Serie ist für mich aber, dass es hier nicht nur Gut und Böse gibt, sondern viele, viele Graustufen dazwischen und die jeweilige Motivation stark in den Persönlichkeiten der einzelnen Figuren verankert ist. Oh, und der Soundtrack ist fast schon ein eigener Charakter.
Helen: Viele! Und ironischerweise ist es gerade Cavill, der mich überzeugt. Vor allem, weil er die „Witcher“-Saga selbst liebt und großer Fan der Spiele ist. Man merkt ihm an, dass er der Vorlage wirklich treu bleiben will, schon allein in der Klangfarbe von Geralts Stimme orientiert er sich stark am Synchronsprecher der Spiele. Mich als Fan nimmt das sehr für ihn ein, zusätzlich zu seinem herrlich trockenen Humor und der schönen Dynamik mit Rittersporn/Jaskier. Doch auch sonst ist die Serie sehr gut gemacht. Bis auf wenige Ausnahmen fand ich den Cast sehr gut gewählt, vor allem Calanthe, wenngleich etwas jung, hatte die richtige Attitüde als Löwin von Cintra. Ich mochte die Umsetzung der Städte und Protzbauten wie Aretusa. Auch wenn im Vorfeld behauptet wurde, die Spiele außer Acht zu lassen und sich eher auf die Bücher zu konzentrieren, konnte man wohl nicht umhin, hier und da kleine „Fanservices“ fallen zu lassen. Geralt in der Badewanne ist Spielefans beispielsweise ein Begriff. Der Soundtrack klang stellenweise, als hätten sie ihn einfach aus dem dritten Spielteil kopiert, was für mich nur logisch ist, weil der Spiel-OST einfach perfekt war.
Welche Schwächen hat „The Witcher“?
Jes: Die Erzählweise hat mich unendlich verwirrt. Ich habe erst ab Folge 4 gemerkt, dass die einzelnen Handlungsstränge teilweise in unterschiedlichen Zeiten spielen. Wahrscheinlich haben sich die Macher was dabei gedacht, dass sich die Figuren dabei äußerlich nicht verändern, aber für jemanden, der die Geschichte noch nicht kennt, ist das furchtbar chaotisch. Nicht unbedingt eine Schwäche, aber zumindest schade fand ich außerdem, dass man zwar Yennefers Vorgeschichte ausführlichst erzählt, Geralts Vergangenheit aber lediglich andeutet. Zugegeben, das Mysteriöse gehört sicher zu seiner Ausstrahlung, aber da Mutanten für Fantasy-Storys schon eher untypisch sind, hätte ich als Neuling gerne ein paar mehr Infos an die Hand bekommen.
Helen: Am verwirrendsten fand ich die Zeitsprünge, die nicht angekündigt werden. Bis Folge 4 war ich nicht sicher, welche Geschichte wann spielt. In einer Szene steht Geralt vor dem erwachsenen König Foltest, gleich danach wird er in Yennefers Story-Arc als Kind gezeigt. Dazu kommt, dass weder Geralt noch Yen sichtbar altern, sie sehen also exakt gleich aus, wenn sie sich schließlich in derselben Zeitebene begegnen. Einmal wird gezeigt, wie Ciri aus dem brennenden Cintra flieht, dann, einige Zeit später, sieht man auf einem Bankett ihre Mutter als junge Frau, und Ciri ist nicht einmal geboren. Da ich die Hintergründe und Geschichten aus den Büchern kenne, war es für mich relativ leicht zuzuordnen, aber trotzdem hätte eine Einblendung à la „Dreißig Jahre zuvor/später“ oft sehr geholfen. Dazu kam, dass ich Yennefers Werdegang als Zauberin zu lang ausgewälzt fand. Man hätte da vieles straffen können. Dass sich die missgestaltete Yen nach Macht, Schönheit und Anerkennung sehnt, hätte gut in eine Folge gepasst. Und Jaskir, so sehr ich den Darsteller mochte, hat wirklich keine Ahnung vom Songschreiben. Kein Vergleich zu der bittersüßen Ballade von ihm in der polnischen Serie, deren Melodie ich nach so langer Zeit noch immer spontan im Kopf habe.
Macht Staffel 1 Lust auf Staffel 2?
Jes: Unbedingt! Am liebsten würde ich sofort weitergucken. (Übersetzt: Ich werde die Staffel gewiss noch mal anschauen.) Das größte Lob aber, dass ich einer Serie aussprechen kann, ist, dass ich durch sie Lust bekommen habe, auch mal in die Bücher reinzuschnuppern. Eine Sache, die ich bitte in der nächsten Staffel nachgereicht haben möchte: Sex auf dem Einhorn. Ich hab absolut keine Ahnung, was es damit auf sich hat, habe aber davon gelesen und war persönlich enttäuscht, dass uns das in der Serie vorenthalten wurde.
Helen: Ja. Definitiv. Auch wenn Staffel 1 durch ihre Zeitsprünge und Fixierung auf Yen von mir 20 Prozentpunkte abgezogen bekommt, ist sie doch immer noch eine sehr gute Serie. Allein, weil sie ein Thema behandelt, das mir sehr am Herzen liegt, und man merkt, wie sehr sie es richtig machen wollten. Es ist auch nicht leicht, die drei Lager zufrieden zu stellen: Fans der Spiele, Fans (nur) der Bücher und völlig unbedarfte Zuschauer. Ich würde mir für die Zukunft noch mehr Fokus auf Geralt wünschen, seine Zeit in Kaer Morhan, beispielsweise, mit der Kräuterprobe im Rückblick. Ich will ihn mit seinen magischen Zeichen kämpfen sehen, mit Igni (Feuer) und Axii (Geistmanipulation), nicht nur mit Aard (Rückstoß). Mehr Elfen als die traurigen, angedeuteten Nebenfiguren, die sie in Staffel 1 waren. Mehr Zwerge! Und ich will Emhyr sehen, der in Staffel 1 nur mystisch als „Weiße Flamme“ bezeichnet wird – was zudem auch nicht näher erklärt wird. Da gibt es noch viel zu erzählen!
Jes: 4 von 5 schlaflosen Bananen.
Helen: 4 von 5 Gastblogger-Bananen.
Schöne Rezensionen. Durch das fehlende Altern der Charaktere in den verschiedenen Zeitebenen hat man absolut unnötige Verwirrung gestiftet. Oder sollen die Figuren tatsächlich nicht äußerlich altern? Bei Zauberinnen und Hexern wäre das ja zumindest möglich. Mir kann man aber wirklich nicht erzählen, dass man sich nicht stark am Look & Feel der Spiele orientiert hat. Das ist doch eine reine Schutzbehauptung, weil der Spiele-Entwickler nicht involviert war und vermutlich daher auch kein Geld für irgendwas bekommt…
Bei der ausführlichen Background-Story von Yen bin ich auch etwas unschlüssig. Einerseits hat sie verhältnismäßig viel Zeit der Serie eingeräumt bekommen, andererseits finde ich aber trotzdem, dass die Charakterentwicklung zu sprunghaft und unmotiviert kommt. Das wird durch die verschiedenen Zeitebenen natürlich noch einmal verstärkt. Eigentlich hätte man da noch mehr Zeit reinstecken können – dann aber gerne mit einer 2-4 Folgen längeren ersten Staffel. Ich freue mich auf Staffel 2 und würde mich eurer 4/5 anschließen.
Hey, danke für das Lob! 🙂 Ich fand es selbst unheimlich aufschlussreich, wie sehr sich unsere Einschätzung am Ende ähnelte — trotz unterschiedlicher Ausgangslage. Aber wir freuen uns beide sehr auf die 2. Staffel, und zumindest ich hätte wirklich nichts dagegen, wenn die mehr Folgen hätte. (Allerdings haben sich bei Netflix anscheinend acht Folgen pro Staffel als Optimum durchgesetzt.)
Hey Mala! Da seh ich deinen Kommentar erst jetzt … Danke dafür erstmal!
Ja, Yen und Geralt sollen auch äußerlich nicht altern. Yen – wie alle Zauberinnen generell – verjüngen sich mit Magie, z.T. auch durch die Transformation, die Yen durchläuft.
Geralt hingegen wurde als Kind genetisch verändert durch die Kräuterprobe, d.h. er wurde an ein Bett geschnallt und mit magischen Tränken und Elixieren gefüttert. Eine ziemlich barbarische Methode, die auch nur wenige Jungen überleben – ich bin sicher, das wird in der Serie noch gezeigt, weil es eigentlich ein wichtiger Plotpunkt ist. Denn daher hat er letztendlich die gelben Augen und das weiße Haar. Und er altert nicht mehr, dafür ist er, wie Yen, unfruchtbar. Und das ist wiederrum wichtig, weil … na ich verrate mal besser nicht zu viel. 😉