Buch oder Spiel? Die Art des Mediums, das eine Geschichte transportiert, scheint von essentieller Bedeutung zu sein, denn es verändert die Sicht der Außenstehenden auf den Konsumierenden. Aber warum?
Ja, es stimmt. Als Fan von Videospielen (ugs: Zocker) verbringt man viel Zeit zuhause auf der Couch. Manchmal sogar recht unbeweglich. Es scheint die Quintessenz alles Trägen, Rückschrittlichen und Lethargischen zu sein, zumindest von außen betrachtet. Es ist vermutlich auch der Hauptkritikpunkt aller Eltern an ihre videospielenden Kinder.
Allerdings möge man es einmal mit dem Lesen vergleichen, das man zumeist ebenfalls unbeweglich sitzend und starr geradeaus starrend verbringt. Jedoch wird der Konsum selbst von Trivialliteratur zumeist sehr viel wohlwollender betrachtet, bietet er doch mehr oder weniger geistige Stimulation und die Erweiterung des eigenen Horizontes. Er dient der Entspannung, der inneren Reise in fremde Welten, dem heilsamen Seele-Baumelnlassen.
Was das Lesen angeht, so scheint es mir, wie gesagt, eher so, als stünde die Allgemeinheit diesem völligen Realitätsverlust sehr viel verständnisvoller gegenüber. Der alles vergessende Leser hat den Anstrich besonderer Intellektualität, wohingegen der alles vergessende „Zocker“ einigen Ansichten nach in seinem Leben vermutlich nicht viel mehr erreichen wird als die Toilette und die Küche.
Das kreative Potential
Lesen bildet, so sagt man – wobei ich das für die ein oder andere C-Promi-Autobiografie dahingestellt lassen möchte –, und es ist ein stilles Medium, das viel, wenn nicht gar alles der eigenen Fantasie überlässt. Figuren und Welten müssen vor dem eigenen inneren Auge entstehen und dort mit Farbe und Klang erfüllt werden.
Spiele, wie auch filmische Medien, sind lauter, bunter, bewegter. Sie nehmen der eigenen Vorstellungskraft viel vorweg, denn sie präsentieren das visuelle Ergebnis der Kreativität anderer. Darüber hinaus gibt es einige Spiele, die sich in der allgemeinen Diskussion beispielsweise als „Killerspiele“ begrifflich festgesetzt haben, und denen man so gar kein heilsames, kreatives Potential beimessen mag.
Doch daneben existieren auch jene Werke diverser Spielehersteller, die einen ganzen Strauß vielfältiger, liebevoll detailreicher und fantasieanregender Ansprüche an ihre Konsumenten stellt, die den großen, beliebten Romanen, von denen allseits geschwärmt wird, in nichts nachstehen.
Und einige von ihnen bedienen etwas, das weder Buch noch Film gelingt: Sie bieten die Möglichkeit zur Entscheidung. Wie verhalte ich mich? Wie erkunde ich die Welt, in die ich geworfen werde? Das reicht von „Laufe ich rechts oder links herum?“ bin hin zu „Werde ich der strahlende Held oder der gefürchtete Schurke?“, und es erzeugt etwas, das man in Büchern und Filmen nicht erlebt: Konsequenzen. Direkten Einfluss auf das Spielegeschehen, manchmal sogar auf die übergeordnete Geschichte selbst.
Es regt einen unterschiedlichen Teil der Kreativität an, eine bereits bunte, bewegte Welt muss mit etwas anderem versehen werden: der eigenen Persönlichkeit.
Weltenreise auf Papier oder Monitor
Das Betreten einer eigenen, kreativ stimulierenden Welt, das Verfolgen eines oder einer Gruppe von Helden, das Mitfiebern und Mitleiden und Mitlachen mit ihnen sind jedoch genau dasselbe. Ganz gleich, ob Spiel oder Buch, beides bietet eine Bühne für die grandiosesten Abenteuer. Ein Vehikel, an das man sich von der Sicherheit der heimischen Sitzmöbel aus anhängen kann. Eine Herausforderung an das Gehirn, sich auf diese neue, fremde Welt einzulassen.
Und, eine besondere Güte des Mediums vorausgesetzt, kann man sich in elektronischen Welten ebenso verlieren, wie in papiernen. Man kann vergessen, wo man sich eben noch befand, und eventuelle körperliche Bedürfnisse ausblenden. Das, was Bücher wie Spiele oder auch Filme vollbringen, die Ausflüge nach Novigrad, Ankh Morpork oder Westeros, sind dabei keine bedenklichen Realitätsfluchten, für die sie von Außenstehenden oft generell gehalten werden. Vielmehr sind es Realitätserweiterungen. Kunstwerke aus Menschenhand, die unserem Real Life etwas Neues, Farbenfrohes hinzufügen. Neue Eindrücke, Anregungen, vielleicht, aber nicht zwingend, zum Reflektieren über uns und unsere Welt. Wie ein Bild, das einer ansonsten durchaus gutgeschnittenen Wohnung noch einen Hauch Fantasie hinzufügt. Es ersetzt die Wohnung nicht, es macht sie bunter.
Die Art des Mediums spielt dafür keine Rolle. Jedes von ihnen hat Vor- und Nachteile, jedes stellt andere Anforderungen an den Konsumenten, bedient andere Vorlieben. Mir persönlich wäre es unmöglich zu entscheiden, wem ich den Vorzug gebe. Ich liebe die besinnliche Stille, wenn ich mich in eine Ecke zum Lesen zurückziehe. Ich liebe einen mitreißenden Film auf großer Leinwand. Ich liebe das Steuern einer Spielfigur und das Mittragen ihrer Entscheidungen. Ja, ich mag sogar Musicals, wo ein zwanzig Sekunden langer Dialog auf eine fünfminütige Tanz- und Singszene ausgewalzt wird. Die Verpackung einer Geschichte entscheidet nicht, ob mich diese ins Herz trifft oder nicht. Es hängt allein am Autor, egal, ob man die Werke am Ende liest, spielt, hört oder anschaut.
So unterschiedlich die Medien auch sein mögen, darin sind sie sich ähnlicher, als viele glauben.
Sehr schön in Worte gefasst. Und die Möglichkeit, die Geschichte bis zu einem gewissen Grad selbst zu lenken, ist auf jeden Fall ein echter Vorzug von Spielen. Vor allem, da es ja längst nicht mehr so ist, dass man nur die Teile einer Welt betreten kann, die für die Handlung wichtig sind. (Das kenne ich noch aus den ersten Myst-Spielen, das war manchmal ziemlich frustrierend.) Man kann verweilen — etwas, was ein Buch nur schwer leisten kann, wenn man nicht gerade dieselbe Passage fünfmal lesen will.