Westworld | Phase Space (2×06)

„We each deserve to choose our fate. Even if that fate is death.“


Alle Wege scheinen zur Cradle zu führen, von wo aus jeder Versuch, das Chaos im Park zu beenden, blockiert wird. Spoiler!

We are meant for the same path

Dolores macht sich mit dem runderneuerten Teddy im Zug auf den Weg zur Mesa, wo aktuell auch Bernard und Elsie sind, um in der sogenannten Cradle herauszufinden, wer oder was dort alle Versuche blockiert, den Code zu hacken. Maeve verlässt derweil Akane und Shogunworld und findet dank Lee endlich ihre Tochter, als auch schon die Ghost Nation angreift.

Alle möglichen Zustände

Der titelgebende „Phase Space“ oder „Phasenraum“ bezeichnet laut Wikipedia „die Menge aller möglichen Zustände eines dynamischen Systems“. Und was beschriebe meine derzeitige Frustration mit „Westworld“ besser? Der besondere Reiz der ersten Staffel bestand für mich darin, mich mit philosophischen Konzepten und psychologischen Zuständen zu befassen, die ich anderweitig wohl nie kennengelernt hätte. Im Vergleich zu dem, was wir aktuell erleben, war die erste Staffel aber fast schon gradlinig erzählt, und auch ein normaler Zuschauer wie ich, der die Serie (anders als hauptberufliche Rezensenten) nach Feierabend guckt und eben nicht die Zeit hat, anschließend erst mal ein paar Stunden zu recherchieren, hatte noch die Chance, daraus schlau zu werden. Ich lag damals mit den meisten meiner Theorien richtig, weil die Hinweise zwar versteckt, aber da waren. Die zweite Staffel ist im Vergleich dazu nur noch ein einziges Chaos aus potenziell mittlerweile vier Zeitebenen, und in gewisser Weise bin ich an einem Punkt angelangt, an dem ich einfach nur noch abwarten will, welche Lösung sie mir am Ende präsentieren.

“No, he didn’t say that … he said I’m not sure what choice to make. He didn’t question whether or not he had agency, whether or not he had the right to end me or himself. But whether he should.”

Der Geist in der Maschine

Aber lasst uns versuchen, ein paar der eindeutigeren Themen der Folge „Phase Space“ zu entschlüsseln. Unsterblichkeit ist ein wichtiger Bestandteil dieser Staffel, und wir wurden erstmals in der Folge „The Riddle of the Sphinx“ damit konfrontiert, als wir verfolgten, wie William versucht, den Geist seines Schwiegervaters in einen Host zu überführen. Die spannende Erkenntnis aus den vielen, vielen Fehlschlägen war, dass sich die menschliche Seele immer gegen die Einschränkungen eines künstlichen Körpers wehren wird. Umso interessanter war die Information, dass Robert Ford die Extraktion eines weiteren menschlichen Geists in Auftrag gegeben hat, und ich vermutete schon damals, dass es sich dabei bloß um seinen eigenen handeln kann. (Denn machen wir uns nichts vor, Ford ist ein Egomane, wie er im Buche steht.)

„Phase Space“ bestätigt das zwar nicht direkt, es ist meiner Meinung nach aber implizit, wenn wir ihm in der Cradle-Simulation wieder begegnen. Und das ist das eigentlich Faszinierende daran: Ford hat sich gegen einen Host-Körper entschieden, weil er sich vermutlich sehr wohl der Tatsache bewusst war, dass das einen Rückschritt bedeuten würde. Stattdessen ist er zum sprichwörtlichen Geist in der Maschine geworden, seine Gedanken, sein ganzes Wesen ist nun rein digital und besitzt das Potenzial, sich bis in die Unendlichkeit weiterzuentwickeln und auszubreiten.

Das wiederum befeuert zwei weitere der durchgehenden Themen in Staffel 2 von „Westworld“. Zum einen ist bereits deutlich geworden, dass sich etliche Hosts noch immer in einer Schleife befinden, also einer vorgegebenen Handlung folgen. Diese Folge bestätigt das mehr oder weniger und ergänzt sogar, dass es sich um keine im Vorfeld entworfene Story handelt, sondern Ford improvisiert und sie immer wieder anpasst. Was wiederum einigen Zweifel an Dolores‘ sogenannter Freiheit sähen dürfte. (Es ist auch ein interessanter Gegenentwurf zum Konzept des Zwei-Kammer-Geists: Die Stimme, die die Hosts im Kopf hören, ist mehr denn je nicht ihre eigene, sondern die ihres „Gottes“.) Zum anderen wirft es die Frage auf, ob nicht am Ende Robert Ford selbst die erwähnte „Waffe“ ist, nach der sowohl Dolores als auch der Man in Black trachten. Denn aktuell ist Ford lediglich Herr über die Parks, einem in sich geschlossenen und damit endlichen System. Was aber geschähe, wenn er in die reale Welt freigelassen wird?

Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?

Habe ich Fords Rückkehr zumindest erahnt (es deutete einfach zu vieles auf ihn hin), so hat mich die Rollenumkehr in den Gesprächen zwischen Dolores und Arnold/Bernard kalt erwischt. Es kursieren bereits einige hochinteressante Theorien darüber, wen Dolores hier testet, die alle auch äußerst elaboriert belegt werden. Ich persönlich möchte mich stattdessen auf mein Gefühl verlassen, denn angesichts des Raums, den das Thema Unsterblichkeit bisher eingenommen hat, ergäbe es für mich bei weitem den meisten Sinn, wenn es sich in der Tat um Arnold handelt. Erinnern wir uns noch einmal an „The Riddle of the Sphinx“, als einer der Vertreter der Ghost Nation sagte: „You live only as long as the last person who remembers you.“ Das passt nicht nur perfekt zu Robert Ford, der in der Erinnerung seiner unsterblichen Kreationen ewig leben wird, sondern in gewisser Weise auch auf Arnold, der in der Erinnerung von Dolores fortlebt. Sollte sie ihn wirklich aus ihren Erinnerungen wieder erschaffen haben, wäre es nur logisch, dass sie es ist, die ihn auf seine Authentizität hin testet.

Einen faszinierenden Gedanken eines anderen Rezensenten möchte ich in dem Zusammenhang aber auch gerne noch aufgreifen. So besteht nämlich durchaus die Möglichkeit, dass der vermeintliche Bernard, den wir in der Zeitlinie mit Karl Strand erleben, gar nicht Bernard ist, sondern Arnold in dessen Körper. Das würde auch seine Verwirrung erklären, die nur zufällig mit Bernards Erinnerungssprüngen in der Vergangenheit korreliert. Letzten Endes hängt alles von den Entwicklungen der nächsten Folgen ab, denn aktuell ist Bernards Körper leer, nachdem er sich in die Cradle eingeloggt hat – und es ist völlig offen, wessen Geist in ihn zurückkehren wird.

“I never thought I’d want to leave, but I suppose you fixed that too.”

Familienzusammenführung mit Hindernissen

Für Maeve heißt es unterdessen Abschied nehmen von Akane, was mich doch einigermaßen überrascht hat. Andererseits, insbesondere im Lichte von Fords Rückkehr ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass wir sie irgendwann einmal wiedersehen. Ohnehin fand ich Maeves Teil in dieser Folge etwas plump erzählt, weil wir doch alle meilenweit gegen den Wind riechen konnten, dass ihre „Tochter“ inzwischen eine neue Mutter hat. Ist Maeve das wirklich nie in den Sinn gekommen? Dachte sie, das Mädchen lebt dort jetzt allein und wartet nur auf ihre Rückkehr? Selbst, wenn ich darüber einmal hinwegsehe, kam es mir schon reichlich zufällig vor, dass die Ghost Nation ausgerechnet dann angreift, wenn sie vorbeikommt. Alles in allem weiß ich nicht recht, was ich daraus machen soll, es klang irgendwie an, als wolle die Ghost Nation Maeve rekrutieren. Ich kann nur schwer hoffen, dass wir irgendwann in dieser Staffel noch ein paar Antworten über die Ghost Nation erhalten, denn das ist gefühlt noch die größte erzählerische Lücke.

Väter sind auch nur Menschen

Und dann ist da noch diese wunderbare Szene zwischen dem Man in Black und seiner Tochter, als sie sich am Lagerfeuer aussprechen. Es wird in Fankreisen bereits heftig darüber diskutiert, ob Emily wirklich ein Host ist, wie der Man in Black vermutet, und die Verwechslung mit den Elefanten kein Fehler von ihm, sondern einer von ihr war. Das brächte erzählerisch aber kaum einen Mehrwert und nähme der Szene auch jegliche Tiefe, denn es geht ja gerade darum, dass Emily anerkennt, dass ihr Vater nicht für den Tod ihrer Mutter verantwortlich ist, aber dennoch weiß, was für eine Art Mensch er ist. Sie nennt ihn ein „man-child“, was wirklich das einzig passende Wort ist, denn er vergräbt sich in dieses Spiel, auf der Suche nach dem ultimativen Kick (einem „life without consequences“), aber am Ende bleibt es ein Spiel und ist damit nichts als eine Flucht vor der Realität. Und die Realität beinhaltet eben auch seine Tochter, was irgendwie erklärt, warum er sie am Ende erneut zurücklässt.

These violent Delights have violent Ends

• Ich hab Dolores bewusst ausgelassen, weil ich ihre Geschichte zur Zeit nur noch langweilig finde. Aber hattet ihr nicht auch das Gefühl, dass sie unentschlossen ist, ob Teddy 2.0 wirklich eine Verbesserung darstellt? Er jedenfalls ist sich seiner Lage bewusster denn je und nicht nur wesentlich grausamer, sondern auch ausgesprochen bitter.
• Charlotte Hale lässt Peter Abernathy auf seiner Liege festnageln. Jesus-Metapher anyone? Sie überprüft übrigens explizit nicht, ob ihre wertvollen Daten überhaupt noch in seinem Kopf sind.
• Ich bin immer zu sehr auf die inhaltlichen Sachen konzentriert, das mir das im Leben nicht aufgefallen wäre, aber ja, offenbar spielen alle in Widescreen gedrehten Szenen in der Cradle-Simulation. Und damit auch schon das Dolores/Bernard-Gespräch in „Journey into Night“.
• Apropos, dass die Idee der Cradle erst eine Folge, bevor sie wichtig wird, zum ersten Mal erwähnt wird, ist schlicht und ergreifend schlechtes Erzählen.

3 ½ von 5 virtuellen Bananen.

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