Westworld | Journey into Night (2×01)

„Under all these lives that I’ve lived, something else has been growing. I’ve evolved into something new. And I have one last role to play: myself.“


Bernard erwacht an einem Strand und kann sich nicht mehr daran erinnern, was passiert ist, nachdem sich die Hosts gegen die Gäste gewandt haben. Spoiler!

Have you ever questioned the nature of your reality?

Als Bernard elf Tage, nachdem die Hosts den Park übernommen haben, an einem Strand aufwacht, erinnert er sich nur bruchstückhaft an die Dinge, die nach Fords Tod passiert sind. Von einer Gruppe Überlebender, die sich auf die Suche nach einem Weg in die Freiheit gemacht hatten, überlebten nur er und Charlotte Hale, während die Hosts unter der Führung von Dolores Jagd auf die Gäste machten. Doch als er, Ashley Stubbs und Head of Operations Karl Strand an einem neu geschaffenen See ankommen, scheinen alle Hosts bereits tot zu sein.

Jede Menge loser Fäden

Vergebt mir die im Grunde nur sehr oberflächliche Zusammenfassung des Inhalts dieser Folge, kein noch so langer Absatz könnte der Komplexität der Erzählung auch nur annähernd gerecht werden. Ich werde meine Energie also lieber darauf konzentrieren, die verschiedenen Plots auseinanderzuklamüsern, um vielleicht eine Vorstellung davon zu bekommen, was uns in dieser Staffel von „Westworld“ erwartet. Denn Tatsache ist, schon in der ersten Folge werden derart viele Ideen angerissen, dass man keine einzige Sekunde wegschauen darf.

Strand: „I can’t imagine what you went through here, Bernard, but there are hundreds of guests left up there and they need my help. which means I need yours. Can you tell me what happened?“
Bernard: „I killed them. All of them.“

Elf Tage, die entscheidend sein könnten

Beginnen wir mit der einen Sache, die vermutlich einige mit einem genervten Augenrollen quittiert haben: Ja, wir haben es wieder mit verschiedenen Zeitsträngen zu tun. Auch ich war anfänglich ein bisschen irritiert, dass Jonathan Nolan und Lisa Joy denselben Trick ein zweites Mal anwenden, doch abgehen davon, dass diesmal überhaupt kein Geheimnis daraus gemacht wird und die Zeitspanne dazwischen (mutmaßlich?) sehr kurz ist, ergibt es spätestens zum Ende der Folge erzählerisch Sinn und deutet bereits auf eine Theorie hin. Ihr wisst schon, eine Theorie. (Gott, wie habe ich das vermisst!)

Ist es Strand oder Stubbs, der Bernard sagt, dass elf Tage vergangen sind? Bernard hat keinen Grund, ihnen zu misstrauen, aber er hat realistisch betrachtet auch keine Möglichkeit, die Richtigkeit dieser Aussage zu überprüfen, da er unter den Nachwirkungen seines nur äußerst provisorisch behandelten Kopfschusses leidet. Es muss Zeit vergangen sein, da wir später noch die Leiche von Ford sehen, der bereits von Würmern angefressen wurde, es könnten aber auch deutlich mehr als elf Tage sein. Letzten Endes wirkt es ohnehin reichlich absurd, dass Delos erst zwei Wochen (!) nach dem Desaster Leute schickt, die angeblich „Hunderte von Gästen“ retten wollen – welche mittlerweile mit ziemlicher Sicherheit tot sein dürften.

Entscheidend ist also, was in den elf Tagen passiert ist. Oder genauer: was Bernard in dieser Zeit getan hat. Er kann sich nicht daran erinnern, kommt aber beim Anblick der toten Hosts zu dem Schluss, dass er sie getötet hat. Warum? Vergessen wir nicht, Bernard ist ebenfalls ein Host, der sich seiner bewusst geworden ist. In der Zeitlinie mit Charlotte Hale ist das auch deutlich erkennbar, in der mit Karl Strand nicht – womöglich eine Folge seines Gedächtnisverlusts. Aber wie sicher sind wir uns eigentlich, dass Strand und Stubbs nicht längst wissen, dass Bernard kein Mensch ist? Und sein Gedächtnis absichtlich gelöscht haben, damit er sich gegenüber den Hosts nicht mehr verantwortlich fühlt und ihnen verrät, was passiert ist? Warum er alle Hosts getötet hat? Ich sehe die Lücken in der Theorie durchaus, aber das ist auch nur ein erster Gedankengang, ein Versuch, einige offensichtliche Ungereimtheiten miteinander zu verknüpfen.

Arnold: „You frighten me sometimes, Dolores.“
Dolores: „Why on earth would you ever be frightened of me?“
Arnold: „Not of who you are now, but you’re growing, learning so quickly. I’m frightened of what you might become, what path you might take.“

Is this really what you want?

Interessanterweise scheint es derzeit fast, als stünde Bernard im Zentrum der zweiten Staffel, nachdem sich die erste noch sehr stark auf Dolores konzentriert hat. Aber auch sie sehen wir wieder, und sie hat nichts mehr mit der unschuldigen Farmerstochter gemein, die wir kennengelernt haben. Wir müssen uns klar machen, dass nun, da sie sich an alles erinnert, was sie erlebt und was ihr angetan wurde, quasi eine ganz neue Dolores entstanden ist. Eine, die die logische Konsequenz aus all ihren Erlebnissen ist, und überrascht es uns da wirklich, dass sie wesentlich feindseliger und grausamer ist? Das beinahe Tragische daran ist, dass sie dadurch mehr und mehr wie die Menschen wird, die sie so sehr hasst – auch sie erfreut sich nun an dem Leid, das sie verursacht.

Damit tut sich aber auch schon eine tiefe Kluft zwischen Dolores und Teddy auf, den sie aktuell noch mehr oder weniger mitschleift. Teddy hat kein Interesse daran, die Welt zu erobern (sei es diese oder jene „da draußen“), er möchte einfach nur ein stilles Plätzchen, wo er mit Dolores zusammen sein kann. Ich vermute, dahinter steckt mehr als nur unterschiedliche Prioritätensetzung. Wenn man zugrundelegt, wie lang und steinig Dolores‘ Weg zur Selbsterkenntnis war, ist es doch sehr wahrscheinlich, dass all die anderen Hosts, die aktuell Amok laufen, das einfach nur tun, weil es ihrer Storyline entspricht (der letzten, die Ford geschrieben hat). Vielleicht versteht Teddy ansatzweise, was vor sich geht, aber ich glaube nicht, dass er sich bewusst ist, was er ist und wie er sich von den Gästen unterscheidet. Ich würde viel darauf verwetten, dass die einzigen bewussten Hosts aktuell Dolores, Maeve und Bernard sind – und der ganze Rest einfach nur mitmacht.

Maeves Blick richtet sich nach innen

Maeve wiederum hat, auch wenn sie ihre Sympathie für denjenigen äußert, der für das Blutbad im Park verantwortlich ist, gänzlich entgegensetzte Ziele. Während sich Dolores auf einem Rachefeldzug befindet, sucht Maeve nach innerem Frieden in Gestalt ihrer Tochter. Und hier wird sehr elegant der Bogen zur Eingangssequenz gespannt, in der wir erneut einen Blick in die Vergangenheit werfen, als Arnold mit Dolores geredet hat. Dolores fragt Arnold, was real ist, worauf er erwidert: „That which is irreplaceable.“ Für Maeve ist ihre Tochter im gleichen Maße unersetzlich wie es für Arnold sein Sohn war. Hier verschwimmen also die Grenzen, und es zeigt sich, dass Bewusstwerdung in sehr unterschiedliche Richtungen verlaufen kann. Es wäre wahrscheinlich ein faszinierendes Treffen, sollten sich Dolores und Maeve jemals begegnen.

Gleichzeitig ist Maeves Storyline in dieser Folge auch für die etwas leichteren Momente gut, denn in ähnlicher Weise, wie Maeve einst die Marionette von Leuten wie Lee Sizemore war, wird Lee nun zu ihrer Marionette. Das geht so weit, dass sie ihn zwingt, sich vor ihr und Hector auszuziehen, und ihm damit jenes letzte Stück Würde nimmt, mit dem sich die Menschen bisher ganz bewusst von den Hosts abgegrenzt haben. Aber es ist eben auch ein amüsantes Zusammentreffen von Autor und Figur, bis hin zu einer von Lee geschriebenen Dialogzeile, die Maeve als „a bit broad“ bezeichnet.

„You wanna be a hero, but don’t sacrifice yourself for the merchandise.“

Ein maßgeschneidertes Spiel für den Man in Black

Für den Man in Black ist die Entwicklung im Park natürlich ein wahr gewordener Traum, er wollte immer ein Spiel mit echten Risiken. Tatsächlich bestärkt mich seine Begegnung mit dem Jungen aber in dem Verdacht, dass ein Großteil dessen, was derzeit passiert, nicht Chaos ist, sondern eine von Ford geschriebene Storyline. Sein letztes großes Meisterwerk “Journey into Night“, das er angeblich nur für den Man in Black geschrieben hat. (Die Frage nach dem Warum drängt sich unweigerlich auf.) In einer anderen Review las ich, dass der Park immer noch eine Geschichte erzählt, dass nun aber alle – Hosts wie Menschen – die Gäste sind, die sie erleben. Das ist ein faszinierender Gedanke und schließt vor allem nicht aus, dass trotzdem alle unterschiedliche Ziele verfolgen. Der Man in Black jedenfalls soll diesmal nach einer Tür suchen: „In this game you must find a door.“ (Und lasst mich gar nicht erst mit den philosophischen und literarischen Konnotationen beginnen, eine Tür als Durchgang, als Übergang gar. Doch wohin?)

Eine gigantische Datensammlung

Zu guter Letzt offenbart uns Charlotte Hale noch den wahren Zweck des Parks, und es ist ein Moment, in dem man sich wundert, warum einen das eigentlich noch überrascht. Natürlich dient der Park nicht nur dem Vergnügen der Superreichen, sondern zugleich der Datensammlung im großen Stil. Facebook macht es heute schon vor, warum sollte ein Unternehmen wie Delos anders sein? Interessanter als die Daten ist womöglich, dass laut Charlotte auch DNS-Proben der Besucher gesammelt werden. Hier lohnt sich ein bisschen Hintergrundwissen, denn der Kinofilm „Westworld“ bekam anno 1977 eine Fortsetzung mit dem Titel „Futureworld“, in der Delos daran arbeitet, Kopien einflussreicher Gäste anzufertigen, die diese in der echten Welt ersetzen sollen. Könnte es sein, dass sich auch die Serie in eine ähnliche Richtung entwickelt? Fakt ist, wir wissen nicht, was genau Charlotte mithilfe von Peter Abernathy aus dem Park schmuggeln wollte.

These violent Delights have violent Ends

• Es gibt einen neuen Vorspann, der nun eine Mutter mit Kind in den Mittelpunkt stellt. Ebenfalls sehr prominent: der Hut vom Man in Black.
• Ich hätte Gustaf Skarsgård (Karl Strand) im Leben nicht wiedererkannt, hätte ich nicht die Casting-News gelesen. Ich kannte ihn bisher nur als Floki in „Vikings“, und da sieht er komplett anders aus!
• Darüber hätte ich vermutlich auch einen ganzen Absatz schreiben können, wir sehen erstmals das „Gehirn“ der Hosts. Ich meine gelesen zu haben, dass die Staffel auch behandeln soll, wie die Hosts eigentlich „angetrieben“ werden. Das schließt vermutlich auch die klare Flüssigkeit mit ein, die sich Bernard von einem anderen Host injiziert, um seinen Zustand zu stabilisieren.
• Es wurde ja bereits viel darüber spekuliert (auch von mir), wo sich der Park befindet, jetzt wissen wir, es ist auf jeden Fall eine Insel. Was freilich andere Theorien nicht per se ausschließt, auch fremde Planeten können Inseln haben.
• Ich hoffe ja, wir erfahren noch, was aus Armistice geworden ist, nachdem die letzte Folge doch einigen Aufwand betrieben hat, uns zu versichern, dass sie noch lebt.

4 von 5 Bananen mit Gedächtnisverlust.

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