„Ich glaube, Kilian hatte viele Geheimnisse vor mir“, gab Yan-Ivo zu. Es war schwer, sich eingestehen zu müssen, dass der Mann, zu dem er so viele Jahre lang aufgeblickt hatte, vielleicht nicht so weise und gerecht gewesen war, wie er immer geglaubt hatte. Weil er noch so jung gewesen war, als er sich seiner angenommen hatte, hatte Yan-Ivo in ihm immer einen Vater gesehen. Und Väter machten keine Fehler.
Eigentlich dürfte man sich als Autor überhaupt nicht mit Hauptfiguren abgeben. Sie sind uninteressant. Unwichtig. Am Ende mögen doch alle die unscheinbare Nebenfigur lieber, die auf Seite 11 über die eigenen Füße stolpert und unsere Herzen damit im Sturm erobert. Wieso ist das so? Wieso schenken wir unsere Sympathie zielsicher der unwichtigsten Person im Geschehen?
Eine alte Weisheit besagt, der heimliche Held einer Geschichte ist stets der Bösewicht. Doch auch wenn es schmerzt, das zuzugeben, diese Zeiten sind lange vorbei. Die Leser sehnen sich weder nach strahlenden Helden noch nach allzu gebeutelten Figuren mit dunkler Vergangenheit, sie wollen Personen haben, die sie an ihr eigenes Leben erinnern. Und wer wäre dazu besser geeignet als eine Nebenfigur? Uns ist zwar oft nicht klar, wer im Mittelpunkt unseres Lebens steht, aber irgendwie wissen wir instinktiv, dass es nicht wir selbst sind. Nein, wir sind nur diese Person auf Seite 11, deshalb nehmen wir Anteil am Schicksal unserer literarischen Entsprechungen.
Ich erzähle das, weil es nicht nur Lesern so geht. Sicherlich bete ich meine Hauptfigur in „Dhenari“ an, in meinen Augen ist Aki perfekt und völlig unfehlbar (obwohl sie elends viel falsch macht). Ich bemühe mich aber inzwischen, aus dem Buch eher die Geschichte eines Ensembles zu machen, also auch den anderen Figuren ein Leben zu geben. Dann allerdings erfinde ich nur für die Hintergrundstory eines Charakters einen Mentor, der mit jeder Seite zwielichtiger wird. Und spannender. Und obwohl er niemals real auftritt, zählt Kilian Ash längst zu meinen Lieblingsfiguren, denen ich am liebsten ein eigenes Buch widmen möchte. Gerade erst habe ich für ein einziges Kapitel einen Mann namens Kieron Rizenn erfunden, und jetzt möchte ich eigentlich nur erzählen, wie er zu der riesigen Narbe in seinem Gesicht gekommen ist und wie das damals war, als er und Trini was miteinander hatten …