As a writer, I’m more interested in what people tell themselves happened rather than what actually happened. (Kazuo Ishiguro)
Realität ist, was wir daraus machen. Oder anders gesagt: Es gibt immer mehr als eine Wahrheit. Was im echten Leben stimmt, trifft auch auf das Schreiben zu, und es ist eine der spannendsten Erfahrungen, die ich gemacht habe. Es ist die Grundlage dessen, was wir Erzählstimme nennen, schon allein die Entscheidung, aus welcher Perspektive ich eine Geschichte erzähle, legt also fest, wessen Wahrheit ich erzähle.
Mir ging das so durch den Kopf, als ich kürzlich den letzten Band der „Tribute von Panem“ las. Ich beklage mich ja gerne und oft darüber, dass ich mit der Ich-Perspektive so wenig anfangen kann, aber manchmal muss ich es neidlos zugeben, wenn ein Autor eine richtige Entscheidung getroffen hat. Sicher könnte man einwenden, dass gerade bei einem Thema wie diesem die Beleuchtung von mehreren Seiten interessant gewesen wäre (und ich bin noch heute der Meinung, dass aus der Thematik medialer Ausschlachtung vor allem im ersten Buch zu wenig gemacht wurde), aber es funktioniert. Wir erleben den Krieg aus Katniss‘ Augen, und es sind zuweilen sehr uninformierte und naive Augen. Es ist ihre Wahrheit, und als Leser darf ich vermuten, dass es noch eine andere gibt.
Selbst in der Ich-Perspektive zu schreiben, fällt mir hingegen schwer. Ich habe es einmal bei meinem zweiten Roman versucht und dann aber geschummelt, indem mal die eine, mal die andere Person erzählte. Es waren zwei Wahrheiten, die sich häufig widersprachen, aber genau das machte den Reiz aus, vor allem, als ich ein Kapitel zweimal schrieb – aus beiden Perspektiven.
Freilich ist es für die „Detektelfe“ zu spät, noch etwas an meiner Erzählart zu ändern, und ich würde es auch nicht wollen, denn die Art von Geschichte lebt von den unterschiedlichen Temperamenten. Bei einem anderen Projekt namens „Scribophilia“ bin ich neuerdings jedoch unschlüssig, zumal es darin um das Schreiben selbst geht, darum, wie unterschiedlich die Texte verschiedener Menschen sind, inhaltlich wie sprachlich. Womöglich wird es mal wieder Zeit, ein bisschen zu experimentieren und mich auf die Wahrheiten meiner Figuren einzulassen.