Früher war der gemütliche Fernsehabend noch ein Ritual, zu dem sich die gesamte Familie versammelte. Früher setzte man sich an den Computer, um zu schreiben, im Internet zu surfen oder nach Pornos zu suchen. Und früher war ein Handy vor allem dazu da, um zu telefonieren. Heute macht man alles gleichzeitig und dadurch irgendwie nichts mehr richtig.
Wir leben in einer Zeit des Überflusses. Auf nichts trifft das mehr zu als auf Informationen. Informationsgesellschaft wird das häufig genannt, und meistens nicken wir nur und freuen uns, dass wir so fortschrittlich sind. In Wirklichkeit aber, und das machen sich immer noch die wenigsten Menschen klar, haben wir längst verloren. Es mag sein, dass es da draußen, in den sprichwörtlichen Weiten des Internets, immer mehr gesammeltes Wissen gibt und theoretisch auch jeder Zugriff darauf hat, doch die Realität sieht anders aus. Dass viele Kinder schon nicht mehr wissen, wie man etwas in einer richtigen Bibliothek mit echten Büchern recherchiert, ist traurig genug. Dass wir selber dafür sorgen, dass unsere Gehirne immer mehr verkümmern, weil wir uns nichts mehr merken, da wir bei Bedarf einfach bei Wikipedia nachschauen können, auch. Aber wir verlieren zudem auch immer mehr die Fähigkeit, uns auf eine Tätigkeit zu konzentrieren. Die verschiedenen Medien buhlen ständig um unsere Aufmerksamkeit, und wir können dem längst nichts mehr entgegensetzen.
Eine der Ursachen dafür ist darin zu suchen, dass technische Geräte immer mehr können. Das Handy war anfangs eben wirklich nur zum Telefonieren da, seit man darauf aber auch Musik hören, Filme gucken und Spiele spielen kann, ist die Versuchung groß, das auch extensiv zu nutzen. Man muss nur mal in einen Bus einsteigen und sich umsehen. Waren da früher noch ein paar Leute mit Büchern, hat heute mindestens jeder Zweite sein Handy in der Hand und spielt irgendwas dran rum. Viele stecken es gar nicht mehr ein, sondern behalten es gleich den ganzen Tag in der Hand. Was sie von der Außenwelt noch mitkriegen? Schwer zu sagen, auf jeden Fall ist das alles verlorene Zeit, denn die Dinge, die man am Handy machen kann, sind schlicht sinnlos. Und wenn man zu fünft in der Mittagspause sitzt und dabei vier Kollegen stumm auf ihre Smartphones starren, dann kommt man sich schon reichlich dämlich vor.
Doch auch wenn es so anmuten mag, ich möchte mich hier nicht ausklammern. Mein Handy hab ich zwar nur für den Notfall und nutze es nicht aktiv, aber dafür verbringe ich viel Zeit am Computer, wie sich wohl jeder denken kann, der häufiger hier vorbeischaut. Zum einen schreibe ich meine Texte, zum anderen schaue ich aber auch einen Großteil der Serien, die die Grundlage dafür sind, mittlerweile am Computer. Dass das nicht nur Vorteile hat, war ein langsamer Erkenntnisprozess, denn dass ich bei langweiligen Passagen nebenbei im Internet surfe, fiel mir zunächst überhaupt nicht auf. Erst, als ich von diesen Serien immer weniger mitbekam und sie deshalb zunehmend schlechter fand, dämmerte mir, dass das womöglich gar nicht an den Serien liegt, sondern an meiner unaufmerksamen Art, sie zu gucken.
Gewöhnlich erkennen wir Multitasking als etwas Positives an, andererseits, es ist keine so große Kunst, beim Bügeln fernzusehen oder neben dem Kochen einer Tütensuppe mit jemandem zu telefonieren. Bei höheren Anforderungen streikt das menschliche Gehirn, das ist eine einfache Tatsache, oder möchte jemand behaupten, dass er eMails schreiben kann, während er fernsieht? Eine der beiden Tätigkeiten wird auf jeden Fall darunter leiden. Aber genau hier kann und sollte man ansetzen, wenn man nicht dauerhaft nur noch alles irgendwie so halb machen möchte. Simplify your life, das geht auch hier, indem man sich bewusst auf eine Sache konzentriert. Für mich persönlich war das eine Offenbarung, denn viele Serien geben sich große Mühe bei kleinen Details, die aber nur solche Zuschauer mitbekommen, die wirklich konzentriert zuschauen.
Und noch etwas sollte man ab und zu tun: Alle Geräte abschalten. Erschreckend viele Menschen haben vergessen oder vielleicht auch nie erlebt, wie es sich anfühlt, völlig in ein gutes Buch einzutauchen. Da Lesen die eine Tätigkeit ist, die einem wirklich die ganze Konzentration abverlangt, kann das auch helfen, den Drang nach immer mehr runterzuschrauben. Denn auch wenn es einem anfänglich vielleicht nicht so vorkommt, man verpasst nichts.
Ich glaube, die Form von Multitasking ist aber ein Zeichen unserer Zeit – und es birgt ebenso Gefahren wie aber auch Chancen (die – wie ich fand, – in deinem Artikel etwas zu kurz kamen, weswegen ich drauf hinweisen wollte). Auf die ein oder andere Art muss sich jeder einen Ausgleich dazu suchen.
Der vielleicht beste Personifikation deiner Befürchtungen ist wohl Japan.
Vermutlich kann man es dort sogar "Megatasking" nennen, kaum einer sitzt da ohne Smartphone in der Bahn, und Japaner nutzen es noch viel häufiger, ausgedehnter und umfassender als die Leute hierzulande.
Und gleichzeitig ist in Japan das Zen tief verwurzelt, das In-Sich-Ruhen und das bewusste Genießen des Augenblicks.
Ich glaube, so einen Kontrapost muss sich jeder Mensch freischaufeln, und ich finde, das sollte – ohne dabei den medialen Überfluss an sich zu verteufeln – in der heutigen Zeit auch immer Teil der medialen Erziehung der Kinder sein.
Ich kann das meiste von dem, was Du argumentierst, durchaus nachvollziehen, auch wenn ich nicht allem zustimme.
Mein Punkt ist ja letztendlich der, dass viele eben nicht mehr wissen, wann sie abschalten müssen. Das Beispiel meiner vier Kollegen war nicht umsonst gewählt, ich sitze nämlich eben gerade nicht mit einem Buch daneben, sondern würde mich gern unterhalten, was leider nur schleppend funktioniert (ich hab's versucht).
Und es geht um die Gleichzeitigkeit von allem, alles muss immer gleich und sofort. Das wird als selbstverständlich betrachtet, dabei nützt das niemandem, wenn keiner mehr was richtig macht.
[Teil 2]
->Zitat: „Erst, als ich von diesen Serien immer weniger mitbekam und sie deshalb zunehmend schlechter fand, dämmerte mir, dass das womöglich gar nicht an den Serien liegt, sondern an meiner unaufmerksamen Art, sie zu gucken.“
Oder es liegt doch an der Serie. Mal ehrlich, ich kenne gute Serien wie ‚Grimm‘, die können mich fesseln, dass ich nicht auf die Idee käme, nebenher zu surfen. Und es gibt Serien, die sprechen mich einfach nicht an. Selbst wenn ich mich zwinge, mich drauf zu konzentrieren, so habe ich den Inhalt eh bald wieder vergessen.
Nicht jeder will sich zwingen müssen, sich auf einen Zeitvertreib, ein Hobby nach Feierabend, zu konzentrieren. Vielleicht entgeht mir dann was, wenn ich die Serie stattdessen einfach nicht mehr gucke – aber vielleicht entgehen mir die Perlen im Werk von Hansi Hinterseer auch, aber deshalb höre ich mich nicht konzentriert durch seine Alben.
Wie immer bei Dingen wie den neuen Medien kommt es auf das Maß an. Man kann sich der Smartphones auch clever bedienen, statt sich von ihnen abhängig zu machen. Meins steckt die meiste Zeit in der Tasche, aber es gibt Situationen, wo ich heilfroh bin, es zu haben. Trotzdem chatte ich nicht mit der Freundin, die neben mir sitzt, oder während einer realen Unterhaltung am Mittagstisch. Das ist dann schon wieder unhöflich und hat Anzeichen von Abhängigkeit – allerdings wäre das genauso, wenn deine vier Kollegen stattdessen mittags stumm Bücher lesen würden, oder?
Wie auch immer: Man sollte Smartphones und neue Medien ebenso wenig ablehnen, wie andere Leute Bücher verteufeln, weil sie für sie eine Flucht in eine Traumwelt, das Abkapseln von der Umwelt und damit das Ende sozialer Kompetenz darstellen.
Der Knackpunkt ist doch, zu wissen, wann mit beidem zugunsten realer Kontakte und eingeschalteter Hirne dann auch wieder aufhören muss.
Schön geschriebener Artikel, mit dessen Inhalt ich allerdings nicht ganz einverstanden bin.
Ich habs mal aufgedröselt, welche Punkte mich etwas stören:
->Zitat:„Dass viele Kinder schon nicht mehr wissen, wie man etwas in einer richtigen Bibliothek mit echten Büchern recherchiert, ist traurig genug.“
Ja, solches Wissen geht verloren. Genauso, wie das Wissen, wie man z.B. mit Pferd und Pflug ein Feld umpflügt. Es mag manchem tragisch vorkommen, dass man das heute vergessen hat, doch das ist es eigentlich nicht. Es wird erst ergänzt, dann ersetzt durch neuere, effizientere Methoden (die Generation vor unserer konnte nur mit Büchern recherchieren, unsere Generation hat beides gelernt, die nächste wird nur noch den PC nutzen).
Das ist nicht nur bei Recherchen so, denke nur mal an das Wissen über Hygiene und Medizin! Niemand wird der Betäubung durch Äther nachtrauern. Und genauso sollte niemand der Recherche durch Bücher aus Papier nachtrauern. Wichtig ist nur, Dinge wie Sorgfalt im Recherchieren und genaue Prüfung der Quellen den Kindern weiterzugeben, nicht die äußere Form der Quelle.
->Zitat: „Man muss nur mal in einen Bus einsteigen und sich umsehen. Waren da früher noch ein paar Leute mit Büchern, hat heute mindestens jeder Zweite sein Handy in der Hand und spielt irgendwas dran rum. Viele stecken es gar nicht mehr ein, sondern behalten es gleich den ganzen Tag in der Hand. Was sie von der Außenwelt noch mitkriegen? Schwer zu sagen, auf jeden Fall ist das alles verlorene Zeit, denn die Dinge, die man am Handy machen kann, sind schlicht sinnlos.“
Da muss ich widersprechen. Du weißt doch gar nicht, was die Leute auf ihren Smartphones tun. Ist die Nachricht eines Mädchens an seine Mutter („Du musst dir keine Sorgen machen, mein Bus hatte Verspätung“) sinnlos? Oder der Eintrag auf einer Einkaufslisten-App („Oh, ich brauche ja noch Butter, wenn ich nachher beim Aldi bin!“)? Oder der Blick auf die Fahrpläne im Netz, wann der Anschlusszug geht? Oder auf die Sendungsverfolgung, ob man in der Stadt gleich noch das Paket abholen kann, wenn man schon mal da ist?
Man könnte sich im Gegenzug fragen, was es für einen Sinn machen soll, stattdessen dumpf brütend aus dem Fenster zu starren oder seine Zeit mit einem schlechten Buch zu verschwenden – und ich habe schon Lesezeit mit schlechten Büchern vergeudet, kann ich dir sagen, mehr als mit jeder App. Und nicht zuletzt lesen Leute auch Bücher auf ihrem Smartphone, das macht dann gar keinen Unterschied mehr.
Vielen Dank! Und natürlich darfst Du mich gern zitieren, ich würde mich nämlich freuen, wenn dadurch mehr Leute den Artikel lesen. Das Thema hat mich ziemlich lang beschäftigt, weil ich auch selber etwas an meinem Medienkonsum ändern wollte.
Sehr schön war deine Argumentationshilfe bei den kleinen Details, derer sich Serien gern bedienen und welche man leicht übersehen kann. Hier wird wirklich deutlich, wer sich auf eine Sache teilweise über Stunden konzentrieren kann. Wir empfinden TV und Kino ja immer als Entspannung, doch genausogut könnten viele auch einfach nur schlafen, denn bewusstes Wahrnehmen wird immer seltener.
Ein schön geschriebener und sehr lesenswerter Artikel. Darf ich ihn in Ausschnitten auf meinem Blog verwenden und auf dich verlinken? Ich hätte das gern als kleine Notiz bei mir. 🙂