Unter den Büchern, die du für deine Abschlussarbeit und deinen Aufsatz gelesen hast […], war da irgendein Roman, in dem die Heldin den Falschen heiratet und es dann merkt, und dann taucht der andere Bewerber auf, irgendein Typ, der immer in sie verliebt gewesen war, und dann sind sie zusammen, aber am Ende erkennt der zweite Bewerber, dass wieder zu heiraten das Letzte ist, was die Frau braucht, dass sie Wichtigeres mit ihrem Leben anzufangen hat?
Es gibt ja manchmal so Romane, die einen wirklich tief berühren. Für mich war „Middlesex“ so einer, es war so eine unglaublich ehrliche Geschichte, dass ich für weite Strecken völlig vergaß, dass ich da nur ein Buch lese. Damals war Jeffrey Eugenides so was wie ein Gott für mich, weil ich auch „Die Selbstmordschwestern“ mochte. Ich ging also davon aus, wenn ich „Die Liebeshandlung“ lese, kann ich nichts falsch machen.
Nun ist „Die Liebeshandlung“ kein schlechtes Buch, diesen Eindruck möchte ich hier nicht erwecken. Ich denke, das Problem waren in erster Linie meine viel zu hohen Erwartungen und der irreführende Titel samt Klappentext. So geht es ja angeblich darum, dass sich die junge Madeleine mit dem sogenannten „marriage plot“ viktorianischer Romane beschäftigt, während sie selbst zwischen zwei Männern steht. Tatsächlich aber erfährt man praktisch nichts über viktorianische Liebesromane, und Madeleine ist außerdem das ganze Buch über mit nur einem Mann zusammen, während der zweite eine spirituelle Weltreise macht, die ihm darüber hinweghelfen soll, dass seine Traumfrau nichts von ihm will. Das Wort Etikettenschwindel könnte einem in den Sinn kommen.
Für sich genommen erzählt Eugenides die Geschichten dreier Menschen, die an der Schwelle zum Erwachsenenleben vor den ersten wirklich großen Entscheidungen stehen, und beweist dabei das für ihn typische Einfühlungsvermögen gepaart mit umfangreichem Wissen über spezielle Themen. Madeleines Freund Leonard leidet unter einer manisch-depressiven Persönlichkeitsstörung, die wirklich in allen (teilweise verstörenden) Facetten geschildert wird, vor allem aber die Konsequenzen für eine Beziehung. Madeleine verliebt sich in den manischen Leonard, der allerdings auf der Höhe seines Wahns mit ihr Schluss macht. Als er einen Zusammenbruch erleidet und in der Psychiatrie landet, kehrt sie zu ihm zurück und genießt es zunächst, gebraucht zu werden, merkt aber nach und nach, dass sie selbst mit in die Tiefe gerissen zu werden droht. Es ist ein Auf und Ab der Gefühle, das durchaus nicht uninteressant ist, jedoch wird nie so ganz klar, wohin Eugenides den Leser denn führen will. Ganz wörtlich genommen haben wir es hier zwar tatsächlich mit einer Liebeshandlung zu tun, und zwar sowohl im erzählerischen wie auch im übertragenen Sinne (Madeleine handelt aus Liebe), doch es hat nichts, aber auch rein gar nichts mit dem viktorianischen Roman zu tun, wie es der Klappentext vollmundig verkündet. Es werden keine Parallelen gezogen, selbst Madeleine scheint sich damit nur gelegentlich mal zu beschäftigen, obwohl es angeblich ihr großes Forschungsthema sein soll.
Das vielleicht größte Manko des Buches aber ist die Handlung um Mitchell, denn sie berührt die Geschichte von Madeleine und Leonard nur an wenigen Punkten, und eigentlich wird nicht klar, was seine Weltreise und seine Suche nach spiritueller Erleuchtung eigentlich mit dem Thema Liebe zu tun hat. Zugegeben, auch er vollzieht eine Liebeshandlung anderer Art, als er in Kalkutta als Freiwilliger Todkranke pflegt, aber die beiden Handlungen laufen eigenständig nebeneinanderher, ohne einander großartig zu beeinflussen. Und während man bei Madeleine und Leonard am Ende des Buches nicht erfährt, wie es mit ihnen weitergeht, verrät uns Eugenides bei Mitchell, was er alles nicht erreichen wird, was seinen Handlungsstrang noch unnützer erscheinen lässt und einen insgesamt sehr unbefriedigt zurücklässt.
Ehrlich gesagt kann ich mir nicht erklären, was bei dem Buch passiert ist, ob Eugenides irgendwann einfach den Überblick verloren hat oder selber nie wusste, was er eigentlich sagen möchte. Vor allem an seinen vorherigen Büchern gemessen, verliert „Die Liebeshandlung“ deutlich, und mich ganz persönlich ärgert tatsächlich der fehlende Bezug zum „marriage plot“ am meisten, weil mich gerade das in Relation zu heutigen Liebesgeschichten interessiert hätte. Ich habe ein Buch aufgeklappt, von dem ich literarische Anspielungen erwartete, und einen Liebesschmöker gehobenen Niveaus zugeklappt.