Immer wieder lese ich gutgemeinte Ratschläge etablierter Autoren an Nachwuchsschriftsteller. Einige davon klingen gut, bei anderen frage ich mich eher, ob wir hier eigentlich über dieselbe Tätigkeit reden. Und so stellt sich am Ende doch vor allem eine Frage: Gibt es so etwas wie die perfekte Anleitung zum Schreiben? Oder ist es nicht eher so, dass jeder seinen ganz eigenen Zugang dazu hat?
Meine spannende Reise begann im zarten Alter von zwölf Jahren. Gelesen hatte ich immer schon gerne, deshalb fiel es mir nicht schwer, mir für einen Schulaufsatz mit der Aufgabe, das Leben in ferner Zukunft zu schildern, eine Geschichte auszudenken. Zu meinem großen Glück erkannte meine damalige Lehrerin etwas darin und ermutigte mich, damit weiterzumachen, worauf ich noch im gleichen Jahr meine erste längere Erzählung schrieb und dann sogleich meinen ersten Roman anfing. Auch wenn nichts aus dieser Zeit meinem kritischen Urteil heute noch standhalten würde, war das gewiss die wichtigste Phase überhaupt, denn ich schrieb ohne jeden Druck von außen, ohne zweifelhafte Anleitungen und ohne Zielgruppe.
Eine Freundin sagte mir vor vielen Jahren einmal, ich müsse mich realistischer Themen annehmen, wollte ich jemals kommerziell erfolgreich sein. Dieser Rat mag kurios anmuten, doch das war noch vor der Zeit von „Harry Potter“ und „Twilight“, insofern sei ihr verziehen. Trotzdem erlag sie dem großen Irrtum, dass nur realistische Literatur „echte“ Literatur ist, und das fiel mir wieder ein, als ich kürzlich einen sehr aufschlussreichen Artikel von Anthony Johnston las. Der rät seinen Studenten nämlich, genau nicht über die Dinge zu schreiben, über die sie Bescheid wissen, oder – Gott bewahre! – die sie selbst erlebt haben. Womöglich liegt es nur daran, dass ich in meinem ganzen Leben noch nichts Aufregendes erlebt habe, aber über mich zu schreiben, ist mir nie in den Sinn gekommen. Die Schriftstellerei ist für mich eine fortgeschrittene Variante der Traumschlösser meiner Kindheit, eine Möglichkeit, mich in Rollen auszuprobieren, die ich nie wirklich ausfüllen werde, mir andere Welten und Lebensrealitäten auszudenken, kurz gesagt aus der Sicherheit meines Schreibtischs Abenteuer zu erleben. Aus diesem Blickwinkel würde ich einem Nachwuchsautor niemals sagen, worüber er schreiben soll, im Gegenteil, ich würde gegenfragen, worüber er selber gerne ein Buch lesen würde.
Eine beliebte Frage, wenn ich von meinen Projekten erzähle, lautet: Woher nimmst du nur all diese Ideen? Gerne würde ich sagen, ich hätte eine beliebte Antwort darauf, die meisten finden sie wohl eher enttäuschend, denn sie lautet: Keine Ahnung. Das Klischee, dass Schriftsteller Verhaltensweisen ihrer Freunde für Geschichten verwenden, ist zumindest bei mir falsch. Eher finden Marotten von mir selber in meinen Figuren ein neues Zuhause. Ich lasse mich von Büchern inspirieren, von guten Filmen, von Musik, von kleinen Beobachtungen im Alltag, von schlechten Filmen, von Kunst. Ich sammle unnützes Wissen, notiere mir jede noch so harmlos erscheinende Überlegung, und vor allem habe ich Freunde, die sich auf Diskussionen über komische Themen einlassen. Und es stimmt definitiv nicht (ich vermute, bei keinem Autor), dass man aus dem Nichts eine ausgereifte Idee hat. Darüber habe ich auch erst kürzlich einen Artikel gelesen, das menschliche Gehirn erfindet im Nachhinein Geschichten für besondere Ereignisse im Leben. Wenn ich also bis heute behaupte, dass ich mal von einem Musikvideo zu einem Fantasyroman inspiriert wurde, ist das vermutlich eine Lüge, die ich mir nur selber oft genug erzählt habe. Nein, die Realität ist, viele kleine Einfälle und Beobachtungen kulminieren im Laufe der Zeit zu einer wagen Idee, und dann tut man gut daran, sie zu packen und festzuhalten. Ich habe nicht umsonst so viele vollgeschriebene Notizbücher.
Der einzige Rat, von dem ich wirklich glaube, dass er einen Autor weiterbringt, ist der: Schreib. Es gab Zeiten, in denen ich dachte, ich hätte die Fähigkeit verloren, auch nur einen einzigen sinnvollen Satz zu schreiben, in denen ich von meinen eigenen Ideen gelangweilt war oder ganze Absätze sofort wieder löschte. Aber es wäre falsch zu glauben, dass es anderen nicht genauso geht. Ich habe gelernt, darauf zu vertrauen, dass diese Phasen auch wieder vorüber gehen, tatsächlich folgt ihnen meist eine besonders kreative Zeit. Nichts bringt einem Autor mehr als das Schreiben. Ich werde keine Debatte Talent versus Handwerk anfangen, das ist müßig, aber es ist nun mal Fakt, dass man schreiben muss, um schreiben zu lernen. Ich kann heute auch dann einen guten Text schreiben, wenn ich nicht inspiriert bin, und das ist das Ergebnis jahrelangen Trainings.
Allgemeingültige Aussagen über das Schreiben sind meiner festen Überzeugung nach nicht möglich, und ich bin mir nicht sicher, wer sich mehr vormacht, diejenigen, die fragen, oder diejenigen, die antworten. Douglas Adams hat das Schreiben gehasst, er bekam Depressionen davon, aber seinen Texten merkt man das nicht an. Manche meiner Texte klingen definitiv, als hätte ich eine Depression, doch beim Schreiben hatte ich höchstwahrscheinlich eine Menge Spaß. Ich liebe es, zu planen und mir alle möglichen Details auszumalen, die für die Handlung unnötig sind, andere schreiben einfach drauflos und schauen, wohin sie die Geschichte treibt. Meine heimliche Liebe gilt allem Skurrilen und Dialogen, die ins Leere laufen, doch ich wünsche mir nichts sehnlicher, als wirklich gute Landschaftsbeschreibungen schreiben zu können. So funktioniere ich und gewiss kein anderer Autor auf dieser Welt. Der Austausch ist wichtig und bereichernd, aber man sollte sich niemals der Illusion hingeben, dass andere das perfekte Rezept parat haben. Und bei allem Enthusiasmus, wenn es um Ratschläge fürs Schreiben geht, wie wäre es, wenn auch mal ein Autor zugeben würde, dass es Tage gibt, an denen er nur Mist schreibt! Denn das machen wir alle.
Mich in andere hineinzuversetzen ist eine Stärke von mir. Vielleicht meine einzige, wer weiß. 😉
Und vielleicht ist das auch nicht ganz so gut. Weil man es am Ende doch nicht allen rechtmachen kann.
Ich muss gestehen, ich hab so meine Probleme, mir meine Leser vorzustellen. Das ist bei mir irgendwie sehr abstrakt, ich versuche einfach nur, mich generell klar auszudrücken. Keine Ahnung, ob das eine Schwäche ist oder am Ende gar hilft, weil ich mich keiner Erwartungshaltung unterwerfe. Ein bisschen beneide ich Leute, die sich vorstellen können, wie etwas auf andere wirkt.
(Aber Deine Metapher finde ich sehr schön und treffend.)
Ob ich an die Wirkung denke? Aber klar. Dafür verwendet man doch Adjektive und Adverben, oder? Um beim Leser einen Eindruck, eine Wirkung oder ein Bild zu erzeugen.
Also jedesmal, wenn ich ein Adjektiv oder ein Adverb auswähle, um eine Sache näher zu charakterisieren, passe ich sie auch einem potentiellen Leser an und meinem Wunsch, wie diese Sache dann auf ihn wirken soll.
Das ist ein bisschen so, wie wenn ein Künstler seine Farbpalette für ein Bild auswählt. Dann entscheidet er auch zum einen, welches Spektrum zu der Thematik passt, und zum anderen, welche Wirkung das Farbschema auf den Betrachter haben soll.
Wenn die Charaktere einer Geschichte das eigentliche Motiv eines Bildes darstellen, und der Plot die Aussage des Bildes ist, und alle anderen Satzelemente die Pinselstriche, dann sind Adjektive und Adverben daher sowas wie die Farben…
Hm, eigentlich eine ganz passende Metapher, oder?
Ich glaube, man muss einfach unterscheiden zwischen Regeln, die wirklich sinnvoll und hilfreich sind (auch für Leser), und Ratschlägen, die immer nur sehr subjektiv sein können. Deshalb finde ich es auch so absurd, wieviele Bücher schon zu dem Thema geschrieben wurden.
Deine Frage ist aber ausgesprochen interessant, weil sie vor allem in Bezug zu meinem geheimnisvollen Romanprojekt steht. Ich setze da einen sehr vielseitig gebildeten Leser voraus, um all die Anspielungen zu verstehen und die verschiedenen Ebenen unterscheiden zu können.
Ich mache mir durchaus meine Gedanken zur Zielgruppe. Bei einer Story wie Arwel setze ich auf Leser, die mit Fantasy und Märchen vertraut sind, denen ich also Dinge wie Hexen, Feen oder Aschenputtel nicht noch erklären muss. Aber das ist eine Gradwanderung, da muss ich Dir recht geben.
Aber ich möchte gegenfragen, denkst Du beim Schreiben an die konkrete Wirkung auf den Leser? Sprich, wie er einen bestimmten Satz liest und versteht? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das mache, in erster Linie bin ich mein eigenes Publikum, und erst, wenn mir selber etwas missverständlich vorkommt, frage ich mal nach, wie andere das lesen würden.
(Ansonsten aber, natürlich, ich schreibe so, wie ich denke, dass es ein Leser später toll findet. So eitel bin ich schon.)
Schwer zu sagen, ob es Schreibregeln gibt, die beachtet werden müssen. Einerseits nicht, denn gerade der Versuch, Kreativität in ein Korsett aus Regeln zu pressen, tötet sie wirkungsvoll.
Andererseits ist es aber schon wichtig, einige Grundsätze einzuhalten. Wieso ist z.B. ein Telefonbuch kein Roman? Weil es die Charakteristika eines Romans (Plot, Figuren, etc.), nicht erfüllt, die ein Romanautor jedoch beachten sollte.
Also gibt es schon Regeln für das Schreiben. Zumindest sehr rudimentäre.
Alles, was darüber hinausgeht, sehe ich genauso kritisch. Gerade Hobbyautoren genießen da ja jede Freiheit abseits von Verlagsvorgaben und Abgabe-Deadlines. Wir können schreiben was wir wollen und so schnell wir wollen, und auch mehrmonatige Scheibpausen sind drin.
Aber in dem Zusammenhang habe ich eine Frage, die mir mal gestellt wurde, und die ich gar nicht recht beantworten konnte: In wie weit hast du die Erwartung des zukünftigen Lesers im Kopf? Seine Vorstellungen von den Figuren (zB. ein Einhorn ist ein Pferd mit Horn auf der Stirn, kein Schmetterling mit Eisbärenpelz), seine Unwissenheit, was die Romanwelt angeht?
Eine "Regel" ist ja, alles für den Leser Neue zu erklären, obwohl wir es für uns selbst eigentlich gar nicht zu erklären bräuchten, denn wir haben es ja erfunden.
In wie weit denkst du darüber nach, wie ein potentieller Leser später dein Machwerk finden soll/wird?
Spannendes Thema!